Der Besucher erscheint zum Schulabend, und man klopft ihm auf die Schulter - es ist ein gern gesehener Gast. Dieser Mensch hat das Leben auf dem LGH-Campus mit seinen Sorgen, Bedürfnissen, Ideen und Aktionen beeinflusst, und damit die eigene Existenz berührt. Eine gemeinsame Wegstrecke hat man zurück gelegt, zusammen neue Dinge gelernt, hat oft auch gestritten, und sich schließlich am Ende verabschiedet, der Lehrer in der Hoffnung, diesem Menschen etwas mit auf den Weg gegeben zu haben, der Schüler wahrscheinlich im emotionalen Zwiespalt, einerseits froh, der Institution den Rücken kehren zu können, die nicht nur Vergnügungen bot, sondern auch Stress und Anpassung erforderte, andererseits wehmütig über das Verlassen dieses Ortes, der so etwas wie eine zweite Heimat geworden war, und einer Gemeinschaft, die trug.
Jetzt ist der Besuch also da – ein knappes Jahr nach seinem letzten Schultag - und fängt an, herumzumäkeln an den Fehlern des Systems. Nicht im privaten Rahmen, nicht in einer Diskussion, sondern öffentlich, vor der gesamten Schülerschaft. Witzig ist er, manchmal, treffend nicht immer. Seine Kritik ist mal zuckersüß, mal höhnisch. Man lacht am Anfang, doch mit wachsender Dauer der Veranstaltung stellt sich die Frage, was den jungen Herrn eigentlich dazu getrieben hat, sich zu diesem Zeitpunkt zu Aspekten der Schule zu äußern, die er selber gar nicht mehr miterlebt hat. Und über falsch, schlecht oder gar nicht verstandenen pädagogischen Konzepten eine ätzende Kritik auszuschütten, die ihn selber zu einem der erfolgreichsten Schüler der Institution gemacht haben. Und wann er endlich mal den Punkt findet – den Schlußpunkt am besten.
Das dauert. Ein ums andere Mal darf sich die Zuhörerschaft an trefflich vorgetragener Polemik erfreuen. Zum Beispiel die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern nimmt er zum Anlass, spöttisch zu werden. Freunde könne man nicht sein, wenn der eine dem anderen Noten und Hausaufgaben gebe, und die Bettzeit kontrolliere. Hat man also eine Beziehung? „Nein! Lächerlich!“ ruft der Redner, der sich langsam warm läuft - und vergisst dabei, dass es einen Unterschied zwischen Freundschaft und freundschaftlichem Umgang gibt, dass persönliche Nähe sehr wohl zu den Qualitäten des LGH gehört, und dass man wertschätzend darüber denken sollte, wenn man das nächste Mal zwei Tage vor Weihnachten eine Eilmail schreibt, in der man ganz dringend (am besten morgen) um ein Empfehlungsschreiben für die ein oder andere Uni der Ivy-League bittet.
Und das ganze Pädagogische Gedöns - ja darüber kann man wirklich lästern, am besten natürlich, wenn man weder Sinn noch Zweck verstanden hat. Schüler im Auswahlverfahren an die Wand kleben – Lächerlich! Wenn es tatsächlich so wäre, dass wir Schüler anhand ihrer Fähigkeit, Klebestreifen anzubringen, für unsere Schule auswählten, könnte man dem Redner ja Recht geben. Da er aber gar nicht dabei war, weiß er nicht, dass die Bewertung sich auf ganz andere, gruppendynamische Prozesse, die durch die vordergründige Aufgabe lediglich sichtbar gemacht werden, bezieht. Dies scheint leider auch für viele andere seiner Kritikpunkte zuzutreffen – er weiß gar nicht, wovon er redet. So etwa bei der Kritik am FVU – keine einzige Stunde dieses Unterrichts hat der, inzwischen völlig entfesselte, Kritiker selbst erlebt – für ihn ist die Lächerlichkeit ja schon aus der Ferne erkennbar.
Alles in allem fragt man sich, warum man sich das an einem Schulabend anhören sollte. Kritik schön und gut – aber in dieser Form? Als unangebrachte Anklage, die nicht mal einen anschließenden Dialog zulässt? Als Ehemaliger, der sich jetzt zum Rächer der armen, pädagogikgeschädigten Schülerschaft aufschwingt?
Man gewinnt den Eindruck, hier hole jemand das nach, wofür er damals, als man ihm Privileg um Privileg einräumte, Verständnis aufbrachte und ihm seine Erfolge ermöglichte, zu beschäfigt war, es mal anzusprechen. Und vielleicht sogar, dass diesem Menschen der Applaus fehlt, der ihm hier sicher ist - klar, wenn einer die Lehrer herausfordert, gewinnt man gleich Sympathien. Und der deshalb an alte Wirkungsstätte zurückkehrt, einige diskussionswürdige Fragen im Gepäck, die man in 5 Minuten darlegen und in derselben Zeit beantworten könnte. Statt dessen zieht sich der Monolog über eine Stunde dahin, die Kritik verliert en Humor, wird zur Polemik - und nur durch das beherzte Improvisieren zweier Lehrer erfriert mir nicht das Herz.
Ich sagte schon woanders - Dankbarkeit zu erwarten steht keinem Lehrer gut zu Gesicht. Aber an die alte Schule zurückzukehren, um sich derart verschwurbelt über den eigenen Stall auszulassen – that's just bad style, Mr G-Spot.