Das Landesgymnasium für Hochbegabte darf sich seine Schüler aussuchen - das ist ein großes Privileg, und so mancher Pädagoge wähnt hier ein Allheilmittel gegen unmotivierte Schulklassen und schlechte Leistungen. Doch das System hat auch seine Haken und Ösen. Denn wie ermittelt man die besten Kandidaten für ein Hochbegabteninternat? Wer ist denn überhaupt der "Beste" - wirklich der mit den besten Noten? Haben sogenannnte Underachiver am Ende nicht gar einen höheren moralischen Anspruch darauf, in einer Internatsschule besonders gefördert zu werden? Und was sollte man als Kandidat tunlichst unterlassen, um nicht von vorneherein von der Liste gestrichen zu werden?
Die Frage, ob das LGH eine Hochleister- oder eine Underachieverschule, oder am Ende sogar beides sein soll, ist so alt wie die Schule selbst - der ministerielle Beschluß sieht eine Aufnahme in Abwägung von Potential, Internatsfähigkeit und Leidensdruck der Schüler vor - Noten spielen nur eine untergeordnete Rolle. In der Praxis wagt das LGH denn auch in Vielem den Spagat zwischen Eliteförderung und Nachhilfe - sei es durch die Mathe- und Sprachenschienen, sei es durch die vielfältigen Addita, Spitzenförderungskurse und Nachhilfeangebote. Es läßt sich aber auch nicht abstreiten, daß für das unterrichtliche Alltagsgeschäft die große Heterogenität der Schüler, was Leistungsbereitschaft und Vorwissen angeht, eine der größten Hürden darstellt - auch wenn die im ersten Jahr von so manchem Meinungsführer des Kollegiums abgegebenen rabenschwarzen Prognosen betreffs der Zukunft des LGHs sich als haltlos heraus stellten. Es liegt aber in der Natur der LGH-Lehrer, gute Schüler zu wollen - ganz im Widerspruch also zu jenem Zitat von Herrman Hesse, nachdem der landläufige Pädagoge lieber zehn Esel in der Klasse habe als ein Genie.
Hochbegabte Schüler, wie man sie am liebsten hat.
Ein Endergebnis des "Soft Skills" Projektes bei den 7-ern in diesem Jahr.
Ein Endergebnis des "Soft Skills" Projektes bei den 7-ern in diesem Jahr.
Um für die real-existierende bunte LGH-Mischung beim Leben und Lernen die richtigen Mitspieler auszuwählen, wird auf ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren gesetzt, bei dem möglichst viele Stimmen gehört werden - Schulleitung, Kompetenzzentrum, Kollegium, Schüler. Alle bewegt die eine grundsätzliche Frage, ob man sich mit dem Kandidaten XY eine gute Zusammenarbeit vorstellen kann. Dazu folgt auf ein erstes Motivationsschreiben der Intelligenztest - ist dieser (bei einem IQ über 120) bestanden, werden die Kandidaten zum Projektwochenende eingeladen. Hier soll den Kandidaten in fünf verschiedenen Projekten (die wenig mit normalem Unterricht gemein haben) und anhand einer Übernachtung im Internat genügend Darstellungs- und Reibungsfläche geboten werden, um die Eignungsfrage möglichst übereinstimmend zu beantworten.
Dabei ist ein großer Unterschied zwischen den Projekttagen für die neu aufzunehmenden 7er und 10er zu erkennen - je jünger die Schüler, um so schneller hat man einen ersten Eindruck. Denn schon bei der Begrüßung der 7er kann sich der Beobachter seinen Teil denken - wer in der Aula schreit, tobt, und über den Flügel klettert, wird es später schwer haben, das Auswahlgremium zu überzeugen. Die älteren Schüler dagegen sind sich der Prüfungssituation viel eher bewusst, und verhalten sich unter Umständen auffällig ergebnisorientiert, was mitunter zu humoristischen Einlagen führt, nach dem Motto "Unsere Tester wollen dies und das von uns sehen, also machen wir das jetzt so und so!" Authentizität wäre hier eine bessere Taktik, letzten Endes muss der Kandidat ja auch heraus finden, ob das LGH für Ihn oder Sie die richtige Schule ist - und nicht nur umgekehrt. Und wichtiger, als ein gutes Ergebnis in den Projekten einzufahren, ist es, die Mentoren und Schüler menschlich zu überzeugen. Ein Rat auch an die Eltern - so wichtig uns die vertrauensvolle Arbeit ist, so wenig überzeugt uns ein allzu auffällige anbiederndes Verhalten...
Solange die Bewerberzahlen konstant hoch bleiben, stellt dieses Verfahren annährend sicher, daß auch genügend geeignete Schüler aufgenommen werden. Natürlich, und das wurde hier ja auch schon diskutiert, gibt es so manchen Fehlgriff. Für das LGH im Ganzen ist aber allenfalls bedenklich, daß durch die nun inzwischen bei Klasse 7 angekommenen Hochbegabtenzüge in Baden-Württembergischen Gymnasien eine Veränderung im Profil der Bewerber auftreten könnte, mit Tendenz zu mehr 'Problemschülern', die von zu Hause oder von Schulen ins Internat 'abgeschoben' werden müssen. Interesant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es in diesem Jahr zum ersten Mal seit Bestehen der Schule keinen Zuwachs in den Bewerberzahlen zu verzeichnen gab - trotz großer Medienpräsenz im vergangenen Jahr. Der große Andrang der Hochbegabten auf entsprechende Institutionen scheint sich also langsam zu verteilen.
Persönlich meine ich bei diesen 7er Projekttagen beoabachtet zu haben, dass viele der Kandiaten sich ungewöhnlich laut, ungewöhnlich aggressiv präsentiert haben. Mag sein, dass ein fortgeschrittenes Alter mit einhergehender herabgesetzter Lärmtoleranz, eine sich im Hintergrund anschleichende fiebrige Erkältung, oder die Gewissheit, zum letzten Mal dabei zu sein, diese Empfindung beeinflußt haben.
Es liegt aber in jedem Fall nun am Auswahlkomitte, sicher zu stellen, dass das LGH seiner bisher erfolgreichen Linie treu bleibt, und weder eine reine Leistungsanstalt noch eine Schule für Problemfälle wird.
2 comments:
Ja, das ist so eine Sache mit dem Auswahlverfahren. Dieses Jahr wünsche ich mir von den Anwärtern nur eins: dass sie sich nicht in meinem Zimmer einquartieren. In den letzten drei Jahren habe ich aber beim Probewochenende immer tatkräftig mitgeholfen, also am Rockzipfel von Frau Cichon oder Herr Exner gehangen und meine Kreuzchen gemacht. Ich kann deine Beobachtungen nur bestätigen. Im Endeffekt war es dann die Sympathie oder Antipathie, die ausschlaggebend für mein Urteil war. Aber auch die 7er meiner Gruppe haben teilweise versucht sich zu präsentieren (Zitat: "Ich höre am liebsten Bach und Mozart, nicht dieses neumodische Gehupe") - wohl um eine gewisse Exzentrik bemüht. Lustig ist, dass sich irgendwie immer alle einig sind. Zumindest bei denen, die sie nicht wollen. Die die übrig bleiben sind dann entweder zu streberhaft oder zu hyperaktiv aufgedreht oder einfach "farblos". Und so sind dann eben auch die Schüler hier. Heterogen as can be. Wie unser Leidbild. Ist ja nicht schlimm, aber warum beschwert sich dann dauernd einer?
Nunja, das ist wirklich nicht so einfach, vor allem, wenn der Bewerter dann noch so Sachen wie "kommt von der Realschule" im Hinterkopf hat und der zu testenden Person keine Chance gibt...echt nicht fair. Aber gut, ich denke, es wird schon gut gehen...und wenn nicht...naja, du wirst es ja sowieso nicht mitkriegen.
Liebe Grüße und gute Besserung,
das Lieschen
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