Das Campusmodell des LGH sorgt ja für mancherlei Diskussion. Man sei nicht ausgebildet für eine erzieherische Tätigkeit, hörte man des Öfteren von den betroffenen Lehrern, als zunehmend die Erkenntnis durchsickerte, dass die Arbeit in einem Internat mehr verlange, als den lieben Kinderchen beim Lernen zuzuschauen. Die langen Dienste und mannigfachen Aufgaben sorgten für Überlastung und Überforderung - das sah und spürte man, wenn man sich im Spiegel erblickte. Und natürlich bedeuteten die unkonventionellen Dienstzeiten eine noch weitaus tiefgreifendere Einschränkung des Privatlebens als durch die Turnusstruktur und die damit verbundenen Wochenenddienste ohnehin schon gegeben – wie man es wohl erwarten darf, wenn man sich für eine Tätigkeit an einem neu gegründeten Internat entscheidet… Als Folge gehörte es bei vielen Kollegen des ersten Jahres bald zum guten Ton, darüber zu mutmaßen, wer sich wohl in Zukunft noch für diesen anstrengenden, aufreibenden, aufopferungsvollen Job hergeben würde, und zu prophezeien, dass das nahe Ende des Campusmodells sich deutlich abzeichne.
Das Vorkosten der erlegten Beute gehört zu den angenehmsten Pflichten eines Wohngruppen Mentors am LGH
(Foto: von Lerchenfeld 2008)
Nun, das Campusmodell erfreut sich heute bester Gesundheit – und musste nicht wegen Lehrermangel eingestellt werden. Doch nach drei Jahren als IM (Internatsmentor) hatte zugegebener Maßen auch ich die Nase voll – die ewig gleichen Diskussionen um die nicht gemachten Putzdienste, endlose WG-Ratssitzungen, sowie die pädagogischen Haarspaltereien als Folge eines sich immer mehr aufblähenden Bürokratismus der Internatsstrukturen hatten die Graswurzelanarchie und die damit verbundene Euphorie des ersten Jahres erfolgreich verdrängt. Immer mehr empfand ich die Zeit im Internat als gleichermaßen dumpf und aufreibend – natürlich auch, weil mich zu jener Zeit der Gedanke an Südafrika und die damit verbundenen Sehnsüchte in Beschlag nahmen. Zusätzlich waren die Auseinandersetzungen mit den Schülern (ich betreute zu der Zeit die Oberstufe) schärfer – bisweilen sogar verletzend - geworden. Statt von dem berauschend-beängstigendem Gefühl, auf einmal für 12 Jungs Papa-Ersatz zu sein, angetrieben zu werden (ich erinnere mich gut an meine erste Nacht am LGH, ich konnte kaum schlafen und lauschte auf die verräterischen Geräusche, die aus der Kaschl-WG 1.0 zu mir in meine direkt darunter gelegene Dienstwohnung drangen), lag ich nun öfter wach, weil mich Enttäuschung und Sorgen umtrieben.
Als Konsequenz zog ich mich im vierten Jahr aus dem Internat so gut es eben ging zurück – ein paar Nachmittagsaufsichten, ein paar Wochenenddienste, ein Abend die Woche als Co-Mentor in einer WG, in der ich mich nicht um viel zu kümmern brauchte, das war mein Arbeitspensum. Und ich gewann ein wenig der nötigen Distanz zu der Institution, die ich mit so vielen guten Intentionen und voller Elan einst mit aus der Taufe gehoben hatte. „Sie sind übermotiviert,“ hatte mir im ersten Jahr ein Schüler vorwurfsvoll entgegengegähnt, worüber ich damals nur grinsen konnte. Jetzt hatte ich plötzlich das dringende Bedürfnis, meine Zeit mit anderem zu füllen als dem Ärger über phlegmatische, zynische, sarkastische, schlampige, diskussionswütige etc. Teenager. Tango und Longboard wurden zunehmend als Hobbies relevant - und ich erkannte den Wert von Feizeitaktivitäten, die mich vom Campus herunter zwangen.
In der Vorbereitung des aktuellen Jahres aber begann ich zu zweifeln. Wollte ich mein letztes Jahr am LGH tatsächlich weiterhin in der pädagogischen Peripherie verbringen? Der Job des IM war zwar auf Begehr eines nicht unwesentlichen Teils des Kollegiums inzwischen in WG-Mentor umbenannt (was mich schon ein wenig kränkte – immerhin ging die Bezeichnung auf einen von mir in den Vorbereitungsseminaren des Jahres 2004 erarbeiteten Vorschlag zur Internatsstruktur zurück, und das nun als störend empfundene Wortspiel war zu jener Zeit noch als eine augenzwinkernde Auslegung der Mentorentätigkeit goutiert worden), aber dafür mit nicht unwesentlichen Vergünstigungen versehen: das Arbeitspensum war deutlich abgespeckt, und man lockte mit der Garantie eines freien Tages pro Woche. So stand ich denn vor der Entscheidung, ins Internatsleben zurück zu kehren, oder mich weiter vom Campusleben abzuwenden.
Ich entschied mich dafür, wieder eine WG zu übernehmen – und bemerke nun, nach einem Trimester Kaschl WG 4.0, wie sehr mir im vierten Jahr genau die Auseinandersetzungen und Aufgaben gefehlt haben, die mich damals so viel Kraft kosteten. Natürlich verliert man einen Abend Privatleben, wenn man in der WG Dienst hat. Doch was man zurück bekommt an Spaß, wenn man sich mit den quirligen, skurrilen, und teils ganz normalen Teenager herumschlägt, wiegt dieses Defizit locker auf. So verbringe ich die meistens eine angenehme Zeit mit meinen Jungs, lache mit ihnen über die überschießenden Hormonspiegel, freue mich, dass wir eine Form der Gemeinschaft etabliert haben, in der sogar der Spüldienst einiger Maßen funktioniert. Man darf gespannt sein, was in diesem Jahr noch so alles in der Kaschl WG passieren wird…
2 comments:
Also ich finde die Abende in WG Kaschl auch immer sehr...sagen wir interessant...aber amüsant auf jeden Fall =)
Spüldienst funktioniert einigermaßen? Was sind das für Leute... Wenn die alle so sind wie ich, um Gottes Willen!
Schön, dass diese Seite, die ich an dir kennen und schätzen gelernt habe, wieder zum Vorschein kommt. Als ich erfuhr, dass du das vierte Jahr nicht als IM (ich werde diese Wort weiterhin verwenden - es ist kürzer und ursprünglicher!) verbringst, war ich, ehrlich gesagt, etwas verdutzt. Deine Reaktion konnte ich zwar verstehen und nachvollziehen, aber es war eine Seite von dir, die ich bis dahin nicht kannte...
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