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22.10.08

Bildung und Bindung - ein Appell

Im Deutschlandradio erklärt der kanadische Entwicklungspsychologe Gordon Neufeld, emotionale Bindung sei die wichtigste Vorraussetzung für erfolgreiches Lernen. Auf diese Aussage warte ich schon lange - handelt es sich doch um eine Erkenntnis, die meiner tiefen Überzeugung, dass ich nur von jemandem lernen kann, den ich mag, seine Entsprechung findet,- und auf deren Basis ich meinen Rolle als Mentor und Lehrer am Landesgymnaisum verstehe.

Nun sind sich Entwicklungspsychologen, Pädagogen und Neurowissenschaftler in diesem Punkt zwar einig, flächendeckend von Lehrern umgesetzt wird diese Erkenntnis jedoch nicht. Und zu Recht fragt sich so mancher Pauker, wie das eigentlich hinzubekommen sein soll, im zweiwöchigen 45-Minutentakt eine freundschaftliche Beziehung zu unzähligen Schülern aufzubauen. Doch nicht die Struktur alleine verhindert die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Klassenzimmer - es liegt auch an uns, Lehren und Schülern, selbst.

Welches Gewicht bei der erfolgreichen Implementierung einer erhöhten Bindung die Erwartungshaltung der Betroffenen spielt, und welche Bedenken dem entgegen stehen, sieht man beispielsweise in der Entstehungsgeschichte unseres Internates - in welchem durch Doppelstunden, GM-Betreuung und Internatsbetrieb denkbar günstigste Vorraussetzungen für eine hohe Bindung zwischen Lehrern und Schülern herrschen. Die Wahrnehmung ein und derselben Situationen und Sozialgefüge, die Bewertung von Konflikten und deren Lösbarkeit jedoch ist durch zwei merklich entgegengesetze Überzeugungen gezeichnet - die Befürworter (Lehrer wie Schüler) des Campusmodells berufen sich auf die positiven Auswirkungen der persönlichen Nähe zwischen Lehrern und Schülern im Unterricht und im Internat - die Verfechter eher traditioneller Beziehungsgefüge verzeichnen gesteigerte Respektlosigkeit, und sehen eine Notwendigkeit für mehr Konsequenzen und straffere Sanktionierung von Fehlverhalten (wiederum Lehrer wie Schüler).

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten erinnere ich mich mit etwas Wehmut an die 'gute alte Zeit' des LGH - bzw. an die Gründungs- und Planungsphase: Eine Schule zu bauen, in der Schüler und Lehrer an einem Strang ziehen, war unser definiertes Ziel, mit dem höchstministeriellem Auftrag, die Schule neu zu erfinden.

Dieser Auftrag kam von der heutigen Bundesbildungsministerin Anette Schavan - und wir am LGH täten gut daran, uns diesem Auftrag zu stellen, statt im Klein-Klein des Alltags frustrierende Sanktionierungsmodelle zu entwerfen um Probleme mehr schlecht als recht in den Griff zu kriegen, die wir meines Erachtens in der Kommunikation besser lösen könnten.

12.10.08

Der lange Weg vom Sie zum Du

Es ist an der Zeit ein erstes Resümee meines kleinen Experimentes zu ziehen. In einem Satz: Einerseits fällt es vielen Schülern sichtlich schwer, sich daran zu erinnern, daß sie mich nun duzen dürfen, andereseits kommen auch welche auf mich zu, von denen ich nie gedacht hätte, daß sie an dieser Anredeform mir gegenüber interessiert wären - und benutzen das kleine Wort völlig selbstverständlich.

Besonders süß ist das bei einigen der 7er - mit denen habe ich ja im Prinzip herzlich wenig zu tun, weder im Unterricht, noch in der WG, aber hier treffe ich auf einige der freundlichsten Reaktionen. Vielleicht gerade deshalb?
Am meisten Fuß gefaßt hat mein Angebot - kaum verwunderlich - in meiner WG. Hier würde ich schätzen, daß ich zu 80% mit 'Ulf' angeredet werde und zu 50 % mit 'Sie', die Tendenz ist aber eindeutig in Richtung der vertrauteren Form.
Im Unterricht klappt das Duzen am besten in der Klasse 9 - nun ja, sie hatten ja auch zehn Tage Vorsprung, und so eine Kanutour schweißt halt auch zusammen. Auch die 12er zeigen sich sehr angetan, hier bemerke ich auf der zwischenmenschlichen Ebene die größten Verschiebungen - und zwar zu mehr gegenseitigem Respekt.

Am meisten nachgefragt, wie es denn 'so geht mit dem Duzen' haben natürlich die Kollegen - und sind zum Teil offenbar überrascht, daß ich nichts negatives zu berichten habe. Nun gut, denken sich wohl manche. Kann ja noch kommen.

2.10.08

Gruppendynamik in Mecklenburg

Es war der Sonnenuntergang.
Foto: Ulf Kaschl 2008

Schon mal bei drei Grad gezeltet und trotzdem gut geschlafen? Schon mal in einer Milchwanne weich gekocht worden? Schon mal einen roten
Milan im Sturzflug einen Fisch greifen gesehen? All das gab es auf der diesjährigen Kanufreizeit der Klasse 9, und natürlich noch sehr viel mehr. Kurz vor der Abfahrt noch schien uns das Schicksal gar nicht wohl gesonnen, musste doch der Hauptorganisator der Tour mit hohem Fieber das Bett hüten. Doch in der ganzen Woche danach war das Gck uns mehr als hold: freundliche Kioskbesitzer, die Teenager mit Chupa-Chups für erfolgreiche Körperhygiene belohnten, einen relaxten Dönerverkäufer, der mal eben spontan 25 Mäuler stopfen konnte, frische, knackige Mecklenburg-Äpfel, sehr viel Wasser unterm Kiel, eine herrliche Landschaft um uns herum, nur ab und zu Nieselregen von oben– aber eben kalt. Saukalt, um genau zu sein – trotz langer Unterwäsche, Trainingsanzug und zwei Pullis hab ich in einem mit Baumwollcocoon verstärkten Schlafsack immer noch erbärmlich gefroren - doch an dem Tag, als ich wegen Schniefnase und rauher Kehle besonders still litt, wurde mir doch tatsächlich ein warmer Kakao ans Zelt gebracht, und eine extra warme Wolldecke organisiert – von aufmerksamen Schülern, wohlgemerkt.

Übersetzungsübung mal anders.
Foto: Isabell Meyer

Unvergesslich auch der Augenblick, als die Gaslampe in meinen Händen explodierte…oder wie wir die letzten Meter der Tour still, durch Hände und Füße im ‚Päckchen’ gehalten, uns aufs Ufer zutreiben ließen…

Besonders erfreut haben mich die Kommentare von Beobachtern der Gruppe – so gut organisiert, so selbstständig habe man hier noch selten eine Schulklasse zu sehen bekommen, klang uns fast täglich das Feedback von Campingplatzbesitzern und Zaungästen in den Ohren. Es war tatsächlich höchst erstaunlich, wie die Abläufe von Tag zu Tag besser funktionierten, wie selbstverständlich die neuen Schüler aufgenommen wurden, wie so mancher von ihnen sich traute, eine neue Seite zu zeigen – oder zu entdecken. Und wie die Gruppe stündlich spürbar zusammen wuchs. Mehr als einmal stand ich mit meinen Kollegen etwas abseits, beobachtete das Treiben bei Lagerfeuer oder beim Zeltabbau, und mein Pädagogenherz weitete sich zu einem saftigen Steak.

Gruppenbild mit Kanu.

Foto: Isabell Meyer 2008


Zu guter Letzt, nach fast hundert gepaddelten Kilometern, gab es auch noch eine Geburtstagstorte – und eine merkwürdig hektisch-entspannte Reise mit dem Schienenersatzverkehr der Deutschen Bahn. Nach einer Woche auf dem Wasser, braungebrannt und mit roten Backen, kamen wir ohne Verspätung wohlbehalten am Gmünder Bahnhof an. Und – fast ist es schade, das ich nächstes Jahr um die Zeit woanders frierend in den Schlafsack kriechen werde…aber nur fast.