Home: Die Werkstatt Südafrikablog: Kom die Kaap na!

26.7.10

Sommerpause

Mach mal Pause - wenn diese Flagge am Strand von Muizenberg weht,
sollte man besser nicht ins Wasser gehen...


Ein Jahr Sabbat ist verflogen - und ich habe jetzt noch 7 Wochen Ferien, um mich davon zu erholen. Frische Posts zu allen möglichen Themen rund um 'Travel and Leisure' gibts dann ab September wieder. Bis dahin sage ich 'Danke' an alle treuen Leser!

Einen guten Sommer wünscht Euch

Ulf

22.7.10

'Surfen macht mich glücklich'. Ein Interview mit Peter Prochaska (II)

Leben und Surfen in Südafrika – ein Traum? Peter Prochaska ist mit 28 Jahren den Schritt gegangen. Er kehrte dem sicheren Bankjob in seiner Heimat Schweiz den Rücken, um in Kapstadt als Surflehrer zu arbeiten. Mit News from Nowhere spricht er über seine Leidenschaft für das Wellenreiten und wie er den Alltag in Kapstadt erlebt.


Traumhafte Sonnenuntergänge über der Innenstadt.
In Cape Town fast täglich zu beobachten.

NfN: Peti, Du lebst und arbeitest in Südafrika, einem der angeblichen gefährlichsten Länder der Welt. Wie gehst du mit dem Alltag hier um, wie erlebst Du Kapstadt?

PP: Also mir gefällt es hier sehr – ich glaube, ich blick noch nicht so ganz durch (lacht). Auf mich wirkt es auf jeden Fall so, als wären viele Leute sehr, sehr arm, aber trotzdem irgendwie glücklich - als versuchten die meisten, das Beste aus dem Tag zu machen. Und sie sind freundlich auch gegenüber Leuten, die so offensichtlich mehr haben als sie selber. Wenn man hier einen Straßenverkäufer anlächelt, aber nichts kauft, dann lächelt der zurück und wünscht einem eine schönen Tag. Von der Landschaft, vom Meer her, ist Kapstadt, und Südafrika allgemein, natürlich etwas ganz Wunderbares.



'Buy some naartijes, man!' Straßenhändler in Kapstadt.


NfN: War es eigentlich Zufall, dass du bei enDo Südafrika gelandet bist?

PP: Also die Massenabfertigung in Surfcamps wie ich sie z. B. in Frankreich erlebt habe, gefiel mir nicht. Ich finde, da wird Surfen anders verkauft, als es eigentlich ist. Mal ein Brett auszuleihen, und sonst Party machen... ich glaube das Surfen ist mehr, und enDo versucht, das auch zu vermitteln. Gerrit Handl (der 'Kopf' hinter enDo Südafrika, Anm. d. R.), war ja schon von Anfang an mein Mentor. Als ich dann vor zwei Jahren das erste Mal hier unten in Kapstadt war, hat es mich so begeistert, auch ohne Gerrit, auch ohne Surfcamp, dass ich gerne wieder gekommen bin.

NfN: Du sprichst davon 'wie das Surfen eigentlich ist'. Kannst Du etwas über das Wellenreiten sagen, ohne lächerlich zu klingen?

PP: Hmmm, schwierig (lacht). Ich habe noch keinen Weg gefunden, einem Nichtsurfer etwas über das Surfen zu erklären, ohne das man sich dabei blöd, arrogant, oder verträumt vorkommt. Meine Freunde verstehen noch von meinen Snowboardzeiten her, dass das was ich gerne mache, exzessiv betreibe. Für mich bedeutet dass, das ich etwas solange mache, bis ich genug davon kriege, und wenn es das Richtige für mich ist, kriege ich nie genug davon (lacht). Der Bankjob war es auf jeden Fall nicht (lacht).

Beim Snowboarden stand ich vom ersten bis zum letzten Tag der Saison auf der Piste – aber wenn ich mich zwischen Surfen und Snowboarden entscheiden müsste, würde ich ohne zu zögern das Surfen wählen. Und so habe ich das auch meinen Freunden erklärt, und die haben verstanden, okay, er muss etwas gefunden haben, das muss etwas sein.



Welle wartet auf Surfer. Hier am Scarborough Beach, Kaphalbinsel.


'Normalen' Menschen das zu erklären,finde ich sehr schwierig, weil man sich ja auch nicht den Anschein geben will, einen Funsport zu etwas zu erheben, das über Allem steht. Letzten Endes ist es aber genau so: Wenn man surfen geht, lässt man alles andere komplett hinter sich. Man setzt sich mit den Elementen auseinander, und in dem Moment, wo man auf der Welle ist, bleibt irgendwie die Zeit stehen, und alles andere wird unwichtig. Und diesen Moment liebe ich.

Meine Mutter, die so überhaupt nichts mit dem Surfen am Hut hat, hat mir einmal an den Kopf geworfen: 'Seit du surfst, bist du ausgeglichener und glücklicher.' Das hat mich schon sehr überrascht, weil sie einerseits Dinge in der Richtung nur sehr selten sagt, und weil ich mich andererseits mit meinen Eltern noch nie wirklich über das 'Warum' des Surfens unterhalten habe. Ich weiß ja auch nicht ob das jetzt so stimmt oder nicht, aber ich denke, wenn eine Mutter das zu ihrem Sohn sagt, dann wird da schon was dran sein.

NfN: Was ist denn dein Lieblingssurfspot?

PP: Ich sag jetzt mal: Die Kapregion (lacht).

NfN: Das müssen hunderte Spots sein...

PP: Ja, also, im Ernst. Lieblingsspot... ich will mich nicht unbedingt festlegen, aber was ich schon gerne mag sind die West Coast Spots, und diese Ecke in der Nähe des enDo Camps besonders - Big Bay surfe ich immer gerne immer wieder.

NfN: Peti, danke für das Gespräch. Und alles Gute!

PP: Gern geschehen.


Nicht umsonst heisst dieser Strand bei Kapstadt 'Shelly Beach'.


21.7.10

Surf now, work later. Ein Interview mit Peter Prochaska (I)

Peter Prochaska ist ein freundlicher junger Mann, der auch auf einer Bank arbeiten könnte. Genau das hat er auch getan, ganze neuen Jahre lang, bis er nach Südafrika aufbrach, um fortan als Surflehrer im enDo Camp in Kapstadt zu arbeiten. News from Nowhere unterhielt sich mit dem sympathischen Schweizer über seine ungewöhnliche Karriere.

Peti, wie er sich am liebsten sieht:
Im Auftrag des Wellenreitens unterwegs.

NfN: Peter, vom Bankangestellten zum Surflehrer - was ist passiert?
PP: Ich habe ganz normal das Fachabi BWL gemacht, bin danach in die Bankausbildung, und habe neun Jahre auf der Bank gearbeitet. Dann hab ich gekündigt und bin Surflehrer geworden.
NfN: Aber warum bloß?
PP: Ich war begeisterte, manche würden sagen: exzessiver Snowboarder. Ich habe dann etwas für den Sommer gesucht, das Surfen ausprobiert, und war so geflasht, dass ich mir sofort ein halbes Jahr Auszeit genommen habe, um richtig surfen zu lernen. Gegen Ende des halben Jahres war ich dann im enDo Surf Camp in Tamraght, Marokko - da hatten die gerade Personalsorgen, und mich gefragt, ob ich nicht aushelfen könne. Über die Jahre reifte dann der Plan, ganz aus dem Bankbetrieb auszusteigen.

Solche Momente erlebt man in der Schweiz recht selten:
Unbekannter Surfer in Outer Kom, Kapstadt
(click pic to enlarge and see the second surfer)

NfN: Mit 28 Jahren dem sicheren Job den Rücken kehren, und als Surflehrer nach Südafrika gehen - das ist ja ganz schön mutig.
PP: Ja, manche sehen das so. Ich empfinde das gar nicht als so mutig, da ich eine gute Grundausbildung habe und über lange Berufserfahrung verfüge. Ich mache mir eigentlich keine Sorgen, dass ich nach zwei, drei Jahren den Wiedereinstieg nicht schaffen könnte.

NfN: Du siehst dich also nicht als Aussteiger im klassischen Sinne?
PP: Nein, ich mache einfach das, worauf ich wirklich Bock habe.

NfN: Wie hat denn dein Umfeld reagiert?
PP: Also auf der Bank selber war das natürlich schon ein Ding - der Typ ist unter 30 und hört auf zu arbeiten - die sehen das ja auch nicht als Arbeit hier im Surfcamp, das gilt mehr als so was wie Urlaub, ist es aber natürlich nicht. Aber meine Freunde haben sich gefreut, dass ich diesen Schritt wage. Manche hatten schon früher vermutet, dass der Bankjob nicht so recht zu mir passen würde.

NfN: Aber materiell gesehen ist das ja schon ein krasser Abstieg?
PP: Das ist es mir wert - weniger in der Tasche zu haben, aber das zu machen, woran ich Spaß habe. Ich fand auch, dass in dem Bankumfeld die Leute Sachen hinterhergelaufen sind, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Als ich anfing, Teilzeit zu arbeiten, meine Surfurlaube bezahlen musste, und zusätzlich noch Geld für den 'Ausstieg' auf die Seite legte - das bedeutet schon Verzicht. Aber die ganzen Objekte, die ich mir gekauft hatte, als ich noch Vollzeit arbeitete, und nichts vom Surfen wusste - heute würde ich sagen, die waren es eigentlich gar nicht wert. Ich habe das Geld damals verballert, aber das hat mich nicht unbedingt glücklicher gemacht, eher im Gegenteil.

NfN: Also im Moment siehst Du auf jeden Fall glücklich aus.
PP: Jo! Das bin ich auch! (lacht)

Im nächsten Post am Freitag spricht News from Nowhere mit Peter Prochaska über seine Leidenschaft für das Wellenreiten und das Leben in Südafrika.


15.7.10

Surfin' RSA: Albtraum Jeffreys Bay

Südafrika hat ungezählte und oft noch unentdeckte Surfspots zu bieten. Doch die Zeiten, wo man wie im Kultfilm 'Endless Summer' beschrieben am liebsten mit allen seinen Kumpels und deren Freunden zusammen in die Wellen springt, sind vorbei - auch in Mzansi werden die secret spots dank der Entwicklung des einstigen Randphänomens Wellenreitens zum Breitensport inzwischen eifersüchtig gehütet. Jeffreys Bay, einst der Traum jedes Wellenjunkies, ist Paradebeispiel dafür, wie Surfer, Industrie und Tourismus einen Strand und das dazu gehörende Dörfchen veschandeln können.

Werbewirksam: Ein Spot wie Supertubes zieht Sponsoren an,
die ja auch irgendwo ihre Sticker loswerden müssen.



Kaum ist die WM verklungen, und die letzten Vuvuzelas werden von den Rängen der nun leer stehenden Stadien gefegt, da findet in Südafrika erneut ein Sportevent von globalem Interesse statt. Ab dem 15. Juli beginnt der 'Billabong Pro' bei Supertubes in J'Bay, eine Station auf dem Zirkus des professionellen Surfens. Auch wenn die Zuschauerzahlen sicher nicht mit denen des Fußballs zu vergleichen sind, hat das weltweit gestiegene Interesse am Wellenreiten in nur zehn Jahre dazu geführt, dass man J'Bay heute nicht wiedererkennt.

Ein ruhiger Tag am Spot. Supertubes liefert die perfekte Welle.

Supertubes, das ist für viele Surfer das Mekka ihrer Zunft. Das Bild der perfekt hintereinander brechenden, ewig laufenden barrels mit den surfenden Delphinen darin ist im kollektiven Memplex der Szene fest verankert. Doch wer sich von diesem Anblick abwendet, und auf das Städtchen dahinter schaut, prallt zurück - Jeffreys Bay ist die am schnellsten wachsende Kommune Südafrikas, und wo vor gar nicht langer Zeit lediglich Aloen aus den Dünen wuchsen, wo es zwei Backpackers und einen kleinen Supermarkt gab, steht jetzt ein ausnehmend häßlicher, schmalfenstriger Ziegelsteinbau neben dem anderen. Ferienwohnungen, Surflodges, Outlets drängen sich entlang der Straße. Und leider ist bei all dem vom 'Surf-Spirit' wenig zu spüren. Es geht um die Kohle, um den Profit, um den Hype der Superstars.

Wagenburg oder Surfcamp? Hier ist man sich nicht ganz so sicher.

Sicherlich ist es höchst interessant, den 'Billabong Pro' vor Ort zu verfolgen. Und natürlich lockt die perfekte Welle, auch wenn es inzwischen schier unmöglich ist, zwischen den vielen Mitstreitern eine davon zu erwischen. Doch ansonsten kann man inzwischen um J'Bay getrost einen Bogen machen. Nur wenige Kilometer die Küste entlang findet man es dann wieder, das Südafrika, wo man die Weite spürt, die Schönheit, die Wildheit des Kontinents. Und wo Aloen in den Dünen stehen und die Welle fast perfekt bricht.

Nichts gegen Kelly. Aber Slater steht natürlich stellvertretend für die ganze Surfindustrie.

Und hier gibt es noch ein Schmankerl:
Jordy Smith wins Billabong Pro 2010

13.7.10

Aus und Vorbei: Ein Resümee zur WM Tour 2010

Mit fulminanter Feier endet die WM in Soccer City, Spanien wird verdient Weltmeister, und Nelson Mandela winkt zum Abschied herzerweichend aus seinem Madibamobil. In Deutschland schmilzt derweil der Asphalt, Phillip Lahm heiratet, und meine sommerliche Lesetour ist zu Ende.

Creative Writing 04 Alumni Treffen im Karlsruher NUN-Café.

Was für ein Monat! Jede zweite Nacht eine andere Matratze, genau 6952 gefahrene Kilometer, an die 250 signierte Bücher und über 600 Zuhörer für 'Roadmovie Kapstadt'. Wiedersehen mit Freunden noch aus Studientagen, freudiges Entdecken neuer Seiten an Ex-Schülern, neue Kontakte zu Südafrika-Afficionados landauf, landab - und jedes Spiel der deutschen Mannschaft in einer anderen Stadt.

Mein Verkaufsstand am Afrikatag der Universität Freiburg.

Das erste Tor der WM, natürlich für Mzansi, bejubelt am Hauptbahnhof in Berlin... der deutsche Auftaktsieg, gesehen mit meinem Vater bei Public Viewing in Trier... die erste Niederlage, erlitten in einer Studenten-WG in Freiburg... das entscheidende Spiel gegen Ghana (I feel so sorry for you, Black Stars!) zwischen den Helmen der freiwilligen Feuerwehr Heimbach... die Vernichtungsschlacht gegen England, bezeugt im Bavaria Biergarten München... Maradonnas Tränen per Beamer auf einer Hochzeitsfeier im Rheingau... schmerzlicher Abschied von Titelträumen im Garten eines Stuttgarter Mehrfamilienhauses... und versöhnliches Ende auf dem Walther-Platz im Südtiroler Bozen. Und dann - dann kommt er kurz über den Platz gefahren, Madiba Nelson Mandela. Lasst ihn doch in Frieden, den alten Mann, hätte ich vorher gesagt - doch dann strahlt er, mit der Leuchtkraft eines Übermenschlichen, und mir läuft es in Schauern den Rücken herunter. Dass er das noch erleben darf, diesen bislang größten Triumph Südafrikas über Apartheid, inneres Chaos und westliche Skepsis. Manchmal wird eben doch am Ende alles gut.

Letzte offizielle Lesung der Sommertour in der Münchner Favorit Bar.

Ein großes Dankeschön möchte ich an alle diejenigen loswerden, die mir diese grandiose WM-Tour ermöglicht haben. Eure Gastfreundschaft, Netzwerke und die vielen guten Gespräche machen den Sommer 2010 für mich unvergesslich.

Machen sich im Regal ganz hervorraend:
'Roadmovie Kapstadt' und FoCWET Merchandise Artikel.


Ein ganz besonderer Dank geht an all jene Zuhörer, die mit einer Spende aktiv dazu beigetragen haben, dass es mit Mzansi auch nach der WM entgegen des unvermeidlich abflauenden Interesses weiter voran geht. Insgesamt 322,70 Euro konnte ich für Friends of Cape Windjammers e.V. sammeln - Geld, dass in die Zukunft Südafrikas gut investiert ist.

1.7.10

Go against the flow: Der Eisbach ruft

Spätestens seit dem unerwarteten Erfolg der Dokumentation 'Keep Surfing' ist der Eisbach mitten in der Münchner Innenstadt für landbrüchige Wellenreiter mit Entzugserscheinungen in den Brennpunkt des Interesses gerückt. Auch der Autor dieser Zeilen nutzte einen Lesestopp in der bayrischen Landeshauptstadt, um den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Das Resultat nach drei Tagen Selbstversuch: mehrere ansehliche blaue Flecken, ein geprelltes Steißbein - und ein sehr breites Grinsen.

Schönes Ding. So kann es aussehen, der Flow auf dem Eisbach.
(Photo: Moritz Wollenberg)

Für was so eine Lesetour durch Deutschland alles gut sein kann: Diesen Juni konnte ich lange vermißte Freunde in Hamburg, Münster, und Göttingen besuchen, mit Kommilitonen aus dem Grundstudium über den Geschlechtswechsel der Miesmuschel rätseln, oder Ex-Schüler in ihrem Kampf gegen eine Klage wegen Verstoßes gegen das Landesemisionsschutzgesetzes unterstützen. Krönender Abschluß war aber der Versuch, es jenen tollkühnen BezwingerInnen der inzwischen legendären Eisbachwelle gleichzutun. Surf's up in Munich!

Ich treffe den enDo Teamer und Eisbach Local Moritz Wollenberg alias Mundaka Mo unten an der Welle. Das letzte Mal haben wir uns vor fast neun Monaten im Surfcamp in Tamraght, Marokko gesehen, doch schnell stelle ich fest, dass Mo auch hier nur für eines brennt: Surfen! Von nahem betrachtet ist der Eisbach ein reißender kleiner Fluß, und etwas verunsichert bestaune ich Mo und die anderen Cracks, die mit Anlauf vom Ufer abspringen und scheinbar mühelos ihre Drehungen und Sprünge auf die stehenden Welle zaubern. Dann soll ich es schließlich selber wagen: Mit vor Aufregung zitternden Knien steige ich in meine Boardshorts, schnappe mir Mos Brett und reihe mich in die Schlange der Wartenden ein. Kaum kann ich mich auf die letzten Ratschläge konzentrieren - je näher mein Einsatz rückt, umso unwahrscheinlicher kommt mir vor, auf diesem brodelnden Chaos aus Wasserschaum auf einem Brett balancieren, geschweige denn selbiges noch kontrollieren zu könnnen. Immer abwechselnd von jeder Uferseite steigt man ein, manche Surfer halten sich ein paar Sekunden, andere scheinen ewig ihre Turns zu fahren. Doch schnell wird die Schlange immer kürzer, noch drei , zwei, eins Surfer sind vor mir dran. Auch mein Vorgänger verliert irgendwann das Gleichgewicht, sein Board knallt mit dem häßlichen Geräusch brechenden Epoxyharzes zwanzig Zentimeter neben meinen Füßen gegen die steinerne Einfassung, sein Körper schlägt lang ins Wasser.

Mission erfolgreich. Der Körper geschunden, doch die Seele fliegt.

"Wenn Du fällst, oben bleiben, egal wie," sagt mir Mo noch, und dann hält er mir das Brett, ich sitze auf der Ufereinfassung, stelle meine Füße darauf, tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf, die Angst vor den Steinen, die Furcht zu versagen, mich zum Gespött zu machen vor den Surfern und anderen Zuschauern, es ist ein einziger neuronaler Sturm der emotionalen und physischen Anspannung, ich kann den Blick auf das unglaublich schnell strömende, brausende Wasser kaum ertragen, schwindelig wird mir, doch den Blick zu lösen gelingt mir auch nicht, ich spüre, wie das Wasser kalt um die Knöchel gurgelt, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ich muss nach vorne belasten, um nicht mitgerissen zu werden - warte nicht zu lange, sonst traust du dich nicht mehr, schalte die Gedanken ab, jetzt musst du loslassen! Ich hole tief Luft, stelle mich auf das Brett, und stoße mich mit beiden Händen von der Einfassung. Und dann... ist alles Stille.

Natürlich ist das Eisbach-Surfen mit dem auf Meereswellen nicht zu vergleichen. Es kommt nicht zu der unglaublichen Beschleunigung im Moment des Take-Off, wenn die Welle gnädig genug ist, einen mitzureißen. Doch der Stoke, der aus dem Erleben des Jetzt resultiert, der Flow, wie ihn vielleicht noch Free Climber oder Apnoe-Taucher kennen und suchen, ist hier absolut vorhanden. Kaum bin ich auf dem Wasser, verliert alles andere an Bedeutung. Es geht nur um den Moment, um das Jetzt, das Hier, das Brett, das Wasser, die Bewegung. Vergessen sind glotzende Touristen und hämische Profis, Angst und Peinlichkeit. Das Universum öffnet sich - und hört im selben Moment auf, zu existieren. Der Kopf ist frei. Der Moment unendlich.


Ein besonderes Schmankerl. Mundaka Mo, a.k.a. Moritz Wollenberg stellt
News from Nowhere dieses Eisbach-Video zur Verfügung.
Maximum Respect, brother!


Es dauert in Echtzeit natürlich keine drei Sekunden, bis ich das Gleichgewicht verliere und ins Wasser klatsche. Eisbach - das muss man wörtlich nehmen, und auch den Rat, möglichst viel Wasser zwischen sich und das Flußbett zu bringen. Ich schramme mit dem Gesäß an einem der vielbesungenen Steine vorbei, strample, tauche endlich auf, und bin doch sehr lange damit beschäftigt, mich aus dem strömenden Fluß zu kämpfen. Meine Schulter habe ich mir bei dem Sturz auch verzogen, die Unterarme sind vom Festhalten an den scharfkantigen Ufersteine rot geschwollen. Doch innerlich jubeliert es in mir, meine Synapsen werden mit Endorphinen schier überschwemmt. Breit grinsend trabe ich zurück zur Einstiegsstelle - und will dasselbe, bitte, nochmal, nochmal. Mo grinst zurück. Er weiß, was gerade bei mir im Kopf abgeht.

Man mag über die Verrückten den Kopf schütteln, die in Neo und mit dem Board unter dem Arm durch München radeln. Aber wer es mal selbst probiert hat, muss zugestehen: der Stoke ist da... und meine nächste Tour führt auf jeden Fall wieder hier vorbei. Dann aber mit eigenem Brett. Das wartet bereits in einem Münchner Keller auf den nächsten Einsatz.