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5.4.09

Keiner darf verloren gehen - Schulausschluss am LGH

Was muss man eigentlich tun, um vom LGH geschmissen zu werden? Diese Frage trat in der nunmehr fast 5-jährigen Geschichte der Schule in Bezug auf wechselnde Personen immer mal wieder auf, und zwar nicht nur auf Lehrerkonferenzen. Durch Elitedebatte, Leitbilddiskussion und verschiedene Regelverstöße ausgelöst, wurden Rufe der Schülerschaft nach 'hartem Durchgreifen' und 'Konsequenzen' gegenüber Mitschülern, die Schwierigkeiten hatten, sich dem System, dem Leistungsanspruch, oder dem Mainstream anzupassen, gebetsmühlenartig vorgetragen. Das angebliche 'zu weiche' Vorgehen gegen 'Straffällige' erweckte Missmut. Für drei meiner eigenen GM-Schüler führte dies irgendwann zum Verlassen der Schule - und, obwohl ich die Gründe sehe, und bei jeder einzelnen Entscheidung beteiligt war: ich habe ein Problem damit.

Genauer: Ich habe ein generelles Problem damit, dass man meint, ein Schulausschluss sei eine pädagogische Maßnahme. Das ist es natürlich keineswegs, sondern vielmehr ein Aufgeben an einem Menschen, und die Abgabe der Verantwortung an Dritte - in anderen Worten, der Ausschluss kommt in der Regel dann, wenn dem Kollegium nichts mehr einfällt. Wüßte man, das es dem Schüler woanders wirklich besser geht, wäre das nicht so das Problem. Bei unseren Schülern aber schwebt bei Ausschlüssen immer der Gedanke mit - wo, wenn nicht bei uns, hat der Schüler denn überhaupt eine Chance?

Bei jedem Disziplinarverfahren erinnere ich mich übrigens an eine Situation am Rande der Vorbereitungsrunden des Frühlings '04 zurück - im Nachbarseminarraum tagte eine Gruppe zu eben jenem Thema. Beim Mittagessen verwickelte der Schweizer Referent, einige LGH-Kollegen der ersten Stunde in ein Gespräch über seine Schule, die aus pädagogischer Überzeugung keine Schulausschlüsse durchführe - die keinen Schüler aufgäbe, sondern stets durch Zuwendung versuche, dem Schüler sein Fehlverhalten vor Augen zu führen, und über Kommunikation zur Besserung zu verhelfen. Stets aber müsse der Schüler das Gefühl haben, geborgen zu bleiben. Ich war von dieser Haltung begeistert, gewahr, dass man sich mit so einer Einstellung unter Umständen als Romantiker oder gar Kuschelpädagoge abstempeln lassen muss. Die Realos unter uns schmunzelten denn auch eher zurückhaltend ob des unorthodoxen Schulleiters aus der Schweiz. Irgendwann aber, blieb meine Hoffnung für das LGH, würde sich die Erkenntnis durchsetzen, dass das Ausselektieren unangepasster oder erfolgloser Schüler nicht dem Anspruch gerecht werden kann, erfolgreiche Pädagogik für Hochbegabte zu betreiben.

Es gehört ja auch zu den Grundprinzipien und zu der Daseinsberechtigung des LGH, Menschen mit außergewöhnlicher Begabung eine möglichst individuelle Förderung zukommen zu lassen. Dass es schwer für Schüler ist, anzuerkennen, dass aus diesem (immer wieder vehement eingefordertem Wert) zwangsläufig die Situation erwächst, dass über gewisse Zeiträume manchem Schüler mehr und manchem weniger Aufmerksamkeit und Zuwendung angedeihen, und man andererseits auch Privilegien schafft, mag man als menschlich hinnehmen und auch immer wieder erklären müssen (manchmal entlocken mir diese Diskussionen allerdings auch nur noch ein innerliches Seufzen). Gerechtigkeit und individuelle Behandlung sind nun mal schwer zu vereinbarende Prinzipien - aber der Argumentationsdruck gegenüber ‚Sonderbehandlungen’ scheint mir aushaltbar, und somit niemals als Rechtfertigung für einen Ausschluss ausreichend.

Und doch muss ich es anerkennen - den Schülern, die gegangen sind, konnte das LGH, und auch ich als Mentor, irgendwann nicht mehr weiter helfen. Wie ein System aussehen könnte, um auch ihr Potenzial herauszufordern und gemeinschaftsfähig zu machen, steht noch zur Debatte. Mehr Betreuung, stärkere Führung, noch stärkere Bindung wäre mein Vorschlag - aber wie das leistbar oder bezahlbar wäre, ist eine andere Frage.

Einige der Ur-LGH Qualitäten wären dabei allerdings sicherlich hilfreich – Toleranz, Improvisation, Engagement, Humor - und die Nähe zum Schüler.

5 comments:

Lieschen said...
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Frank said...

Der Schulausschluss ist eine pädagogische Maßnahme - wenn nicht für den Ausgeschlossenen, so doch für die, die übrig bleiben.
Es ist ein Zeichen, dass gewisse Verhaltensweisen nicht toleriert werden und es ist darüber hinaus meist das Entfernen einer Quelle des Leidens.

Wenn ich so von einem Menschen spreche, dann mach ich das in dem Bewustsein, dass es nicht primär um den Täterschutz gehen darf, sondern es in erster Linie die Opfer sind, für die wir streiten müssen.

Auch der Vorwurf, das sei nur das Abschieben eines Problems geht fehl: Zunächst verursacht solch ein Asozialer in einem Internat weit mehr Schaden als an einer normalen Schule, zum anderen wird ein solcher meist bereits so stark von der Gesellschaft in eine Ecke gedrängt worden sein, dass er schon aufgrund dessen sein Verhalten nicht ändern wird - aus diesem Blickwinkel wird der Ausschluss zu einer echten Chance.

Die ewige letzte Chance, die sich das LGH für seine Missetäter leistet, tut den Schülern unrecht, denn es erlaubt dem Asozialen beinahe jeden Freiraum - auf kosten seiner Opfer, deren Leid nicht gesehen wird.

Dass davor alle erfolgsversprechenden Einflussmöglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, ist davon unbenommen. Ein Schulausschluss ist damit natürlich auch eine Niederlage, eine Niederlage, bei der es verheerend ist, sie nicht einzugstehen.

Ulf Iskender Kaschl said...

@ mein lieber Frank,
sicherlich ist es wichtig, zu unterscheiden, was man erreichen kann und was unmöglich bleibt. Nicht immer ist das aber so offensichtlich wie es dir offenbar scheint - und da man es mit Menschen zu tun hat, tut man gut daran, nicht vorschnell zu urteilen.

Im Übrigen: Deine Wortwahl ("Opfer", "Täter", "Leiden",...) finde ich nun doch etwas übertrieben - es geht nicht um Sexualstraftäter oder andere Gewaltverbrecher, vor denen die Gesellschaft zu beschützen ist, sondern um Schüler, die zu wenig Hausaufgaben machen, ihre WG-Dienste vernachlässigen, mal einen über den Durst trinken oder sich ähnliche Delikte zu schulden kommen lassen. Wir sollten also schon auf dem Teppich bleiben...

Darüber hinaus solltest Du bei Deiner Kosten-Nutzen-Rechnung was das Internat angeht vielleicht etwas nicht anderes auch nicht vergessen - auch wenn ein Missetäter in einem Internat punktuell schlechte Laune verbreiten kann, so ist der gesellschaftliche Schaden, der von Schulabbrechern oder von einem von einer zur anderen Institution weiter Gereichten ausgeht, potentiell noch viel größer. Mag sein, dass Luftveränderung manchen gut bekommt und sie die Chance zur Neudefinition nutzen - Studien zu diesem Thema kommen da in der Masse leider zu einem anderen Ergebnis.

@ Lieschen, bitte sei vorsichitg mit Aussagen zu 'wer was verdient hat'. Dein Kommentar enthielt Namen von Schülern, und deshalb habe ich ihn gelöscht - wenn Du willst, schreib ihn doch noch einmal ohne Namen zu benutzen. Übrigens finde ich, dass der Einsatz für diejenigen, die es 'verdient' hätten, am LGH alles andere als gering ist. Nochmal ganz generell: Das LGH ist keine Hochleisterschule und keine Schule für Problemkinder, sondern eine Schule für hochbegabte Schüler Punkt. Mit all ihren Verhaltensspektren, und allen Problemen. Nur scheint es wirklcih so zu sein, dass die Struktur nicht für alle 'Problemkinder' ausreichend ist. Daran muss man arbeiten, und dass ist die Motivatio nfür diesen Artikel.

Lieschen said...

@Ulf: Kein Problem...

Und du hast Recht, es ist eine Schule für Hochbegabte mit all ihren Verhaltensspektren. Ich meinte auch nicht, dass sich niemand einsetzt, sondern dass es einfach nicht unebedingt viele gibt, die sich wirklich einsetzen. Das Problem ist eben einfach, das teilweise Probleme nicht erkannt werden oder einfach falsche Probleme gesehen werden... (dafür haben wir ja einen Spezialisten am LGH)

Aber wie gesagt: diejenigen, die eben Probleme haben, haben es am LGH nicht leicht und einige von ihnen verlassen die Schule früher oder später, weil ihnen nicht geholfen wird/werden kann/werden will. Und das ist nichts gegen dich, denn du bist ja einer von denen, die sich einsetzen - und zwar nicht nur für die, die offensichtlich Probleme zum Beispiel in der Schule haben, sondern auch für die, die nicht so offensichtliche Probleme haben. Denn man kann einen Menschen nicht über die Noten oder die ein oder andere Sache, die er sich zu Schulden kommen lässt, definieren.

Wichtig sind dabei eben auch die "Ur-Qualitäten" des LGH, wie du sie genannt hast. Besonders auch die Nähe zu den Schülern, denn nur so kann ihnen auch geholfen werden, oder nicht?

Wunderbar, dass es Lehrer gibt, die das erkannt haben, aber umso tragischer, dass gerade die, die dieses Prinzip erfolgreich durchführen, die Schule nächstes Jahr verlassen...fragt sich, wann die anderen Lehrer es auch schaffen...

Anonymous said...

Ich finde, man muss auch unterscheiden zwischen Fehlverhalten, dass aus der Hochbegabung resultiert und Fehlverhalten, dass aus Erziehungsdefiziten hervorgeht.


Was könnte getan werden, damit tatsächlich keiner verloren geht ?

1. Kleinere Klassengrößen, maximal 10 Schüler pro Klasse.

2. Der Einsatz von zusätzlichen Pädagogen oder/und Psychologen zur Arbeit mit den Schülern und zur Supervision der Lehrer.

3. Besser ausgebildete und ausgesuchte Lehrer.

4. Natürlich mehr Betreung indgesamt! Es sollte ja eigentlich ein Familienleben ersetzt werden und darüber hinaus, wenn man es wirklich ernst meinte, ein tolles, gutes, sinnvolles Freizeitprogramm angeboten werden.

Das große Besteck eben...

Richtig ernst machen halt, nicht nur Kompromisse an allen Ecken und Enden, weil man dann doch nicht sooo viel Geld dafür ausgeben will.

Das kann (und will ?) sich unsere Gesellchaft nicht leisten....

Ein Wunder, dass das LGH tatsächlich existiert, dass überhaupt jemand mal (etwas) Geld für die Hochbegabten in die Hand genommen hat....

So gehen eben doch ein paar Kinder unterwegs verloren...