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15.2.10

Zwischen Paranoia und Verdrängung: Wie gefährlich ist Kapstadt? (I)

Großartige Natur, bunter Multikulti, luxuriöse Weingüter, einsame Traumstrände – mit diesem Bild werben die Reiseprospekte für das Land am Kap der guten Hoffnung. Bittere Armut, Rassismus, ausufernde Kriminalität, und fürchterliche Gewalt – das ist die Kehrseite der Medaille, wie kritische Medien berichten. Kann man als deutscher Tourist eigentlich guten Gewissens nach Südafrika reisen?



Sieht gefaerlich aus, ist aber harmlos, die Eierschlange.

Ein Sinnbild fuer Suedafrika?


Der ungebetene Besucher kam gegen neun Uhr morgens, deaktivierte den Alarm, und drang durch die offen stehende Hintertür ein. Er griff sich das große Messer, das in der Küche auf dem Brett lag, ging ins Wohnzimmer, und überraschte den dort in seinem Lieblingssessel dösenden alten Mann. Nachdem er ihn in der eigenen Toilette eingeschlossen hatte, durchkämmte er das Haus nach Wertvollem. Viel konnte er nicht mitnehmen, denn vor zwei Wochen war schon einmal 'Besuch' da gewesen. Ein bisschen Bargeld, ein paar DVDs und CDs, den neuen iPod, den der alte Mann eben von seiner Tochter geschenkt bekommen hatte, jetzt, da die Stereoanlage weg war. Nach etwa zehn Minuten verschwand der Besuch, und der alte Mann schrie sich drei Tage die Kehle heiser, bis die Nachbarn ihn hörten und befreien konnten.

Am selben Tag wurde die Tochter des alten Mannes an einer roten Ampel von zwei Gangstern aus ihrem Auto gezerrt, als sie von Kapstadt nach Stellenbosch unterwegs war. Sie hatte Glück - sie kam davon, ohne vergewaltigt oder ermordet zu werden. Ihr Mann, der gerade auf dem Golfplatz weilte, leider nicht. Im Kampf um seine Brieftasche versetzte ihm ein Angreifer einen tiefen Stich mit einem abgebrochenen Flaschenhals, und das Opfer verblutete bei Loch 13.


Gangster oder netter Typ? Auf jeden Fall sehr fotogen...


Ein Schauermärchen? In Kapstadt hört man viele solcher Geschichten, und manchmal sind sie sogar wahr. Einige meiner Bekannten sind Opfer von Diebstahl und Raub geworden, mir selber wurde einmal das Auto unter der Nase weg gestohlen (woran ich allerdings ein bisschen selber schuld war). Andere Kapstädter leben seit Jahren unbehelligt, und auch wir fühlen uns derzeit keinesfalls gefährdet: In unserem Häuschen, keine 100 Meter vom nächsten illegalen township entfernt, gibt es keine Alarmanlage, keinen Stacheldraht, und keine Gitter vor den Fenstern – eigentlich unerhört in einem Land, in dem Sicherheitstechnik und Security einem Großteil der Bevölkerung Lohn und Arbeit einbringt. Manchmal vergessen wir sogar, nachts die Haustüre zuzumachen – und wachen trotzdem am nächsten Morgen lachend und unversehrt auf. Wie kann man so unbesorgt sein, wo das Unglück doch angeblich schon drohend an der nächsten Ecke lauert?

Statistiken und Wahrscheinlichkeiten helfen nicht weiter, das Rätsel unserer Unbeschwertheit zu lösen. Vielmehr muss wohl eine allgemeine Unfähigkeit des Menschen zu Grunde liegen, Gefahrenpotentiale richtig einzuschätzen – bzw. der Glaube, angemessene Risiken bewusst in Kauf nehmen zu können. Lustigerweise erklärt dieser hobbypsychologische Ansatz sowohl unsere Verdrängungstaktik, als auch die Paranoia, die in Kapstadt allgegenwärtig zu sein scheint.


Hier sollte man aufpassen:

Die staatlichen Sozialbauten werden oft von Gangs beherrscht.


Als Beispiel: Selbst wenn hinlänglich bekannt ist, dass eine Haiattacke weniger wahrscheinlich ist, als an einem defekten Toaster zu sterben, provoziert ein in der False Bay gefressener Tourist ganze Seiten von alarmistischen facebook und twitter Inhalten – und verdirbt so manchem den Badespaß. Selbst wenn täglich tausende von Anhaltern mitgenommen werden, ohne dass etwas passiert, weiß ganz Kapstadt, wenn wieder einmal jemand dumm genug war, das Schicksal herauszufordern, und sieht sich in den gebetsmühlenartig wiederholten Warnungen vor Trampern bestätigt (wobei die Frage unbeantwortet bleibt, wie die ganzen Maids, Gärtner und Kindermädchen eigentlich zu ihren Arbeitgebern kommen sollen, wenn nicht per Anhalter – der öffentliche Nahverkehr jedenfalls kann das nicht leisten). Die Angst wächst mit jeder Schlagzeile, das Ausschmücken der schrecklichen Realitäten wird zum Selbstläufer, und die weiße Community sieht sich in ihren Warnungen vor dem oft beschworenen blutigen Untergang des Landes bestätigt. Andererseits würde niemand auf sein Auto verzichten wollen – dabei fordern Verkehrsunfälle in Südafrika viel mehr Todesopfer als Gewalt und Kriminalität.


Freuen sich, wenn man sie ein Stueck im Auto mitnimmt:

Xhosa Frauen arbeiten in der Stadt und wohnen weit draussen in den townships.


Die südafrikanische Mentalität ist für das Drama wohl auch besonders zugänglich – die Angst, vom schwarzen Mann ins Meer gedrängt zu werden, auf die sich die Apartheidspropaganda von früher im Wesentlichen stütze, scheint sich auch heute noch in einem Hang zur Übertreibung von Gefahrenpotentialen niederzuschlagen. Als ich unseren südafrikanischen Freunden einen Videoclip zeigte, den ich in unserem Garten gedreht hatte, waren sich alle sofort sicher: Das angriffslustige Reptil darin war eindeutig eine Puffotter, höchst aggressiv, und tödlich giftig. Das Bestimmungsbuch allerdings identifizierte die Schlange als einen völlig harmlosen Eggeater, eine ungiftige Natter, die sich durch Drohgebärden und Aufspreizen des Kiefers nur den Anschein gibt, giftig zu sein. Was die Gefahr, doch mal von einer Puffotter erwischt zu werden, natürlich keinesfalls schmälert.

Auch wenn ich diese Geschichte bezeichnend für die Psychologie weißer Südafrikaner finde, die sich oft und gerne als Opfer der Gefahren in ihrem Lande sehen, soll nicht der Eindruck entstehen, mit ausreichender Naivität käme man schon unbehelligt davon – oder man könne sich durch clevere Besserwisserei der Gefahr entziehen. Südafrika ist ein Land, in dem man gut daran tut, Gefahren ernst zu nehmen und die Risiken abzuschätzen – um sich dann zu entscheiden, wie und wo man sich sicher fühlt, und welcher Herausforderung man sich gewachsen fühlt. Gute Informationen zu bekommen ist essentiell, dabei aber leider nicht immer einfach - die meisten Reiseführer gehen nicht über recht allgemeine Ratschläge hinaus, und viele selbst ernannte Kapstadtkenner berufen sich nur aufs Hörensagen. Wenn es um die 'dos and dont's' geht, werden die Sachverhalte oft düsterer dargestellt, als sie wirklich sind.


Diese Jungs sind nicht nur cool, sondern auch sehr freundlich.

Vor dem Fotografieren aber immer schoen fragen...


Doch Sicherheit ist ein Gefühl, kein Zustand. Man kann deshalb jedem Touristen nur empfehlen, einen eigenen Weg zu finden, sich in dem aufregenden Spannungsfeld der südafrikanischen Gesellschaft zu bewegen. Die Anstrengung, die dies Anfangs vielleicht kostet, wird sich in Momenten echten Glücks und Unbeschwertheit auszahlen. Der aufgeschlossen Reisende wird mit Menschen aller Hautfarben lachen, weinen, und feiern können. Wer sich aber Angst einjagen lässt, wird die schönsten Momente und Geschichten, die Südafrika zu bieten hat, leider verpassen.


Hat nicht nur Suessigkeiten im Gepaeck, sondern auch die ein oder andere bittere Geschichte:

Eisverkaufer in Big Bay.

2 comments:

lgh-ler said...

hi ulf,
super beitrag, sehr interessant und hilft uns reiseführer-deutschen sicherlich den horizont zu weiten und die facettenreichheit zu erkennen ;)
liebe grüße

Ulf Iskender Kaschl said...

Hej lgh-ler

danke fuer die Komplimente. Bin auch in Zukunft immer gerne hilfsbereit, wenn es um reisetipps geht...