21.7.10
Surf now, work later. Ein Interview mit Peter Prochaska (I)

15.2.10
Zwischen Paranoia und Verdrängung: Wie gefährlich ist Kapstadt? (I)
Sieht gefaerlich aus, ist aber harmlos, die Eierschlange.
Ein Sinnbild fuer Suedafrika?
Der ungebetene Besucher kam gegen neun Uhr morgens, deaktivierte den Alarm, und drang durch die offen stehende Hintertür ein. Er griff sich das große Messer, das in der Küche auf dem Brett lag, ging ins Wohnzimmer, und überraschte den dort in seinem Lieblingssessel dösenden alten Mann. Nachdem er ihn in der eigenen Toilette eingeschlossen hatte, durchkämmte er das Haus nach Wertvollem. Viel konnte er nicht mitnehmen, denn vor zwei Wochen war schon einmal 'Besuch' da gewesen. Ein bisschen Bargeld, ein paar DVDs und CDs, den neuen iPod, den der alte Mann eben von seiner Tochter geschenkt bekommen hatte, jetzt, da die Stereoanlage weg war. Nach etwa zehn Minuten verschwand der Besuch, und der alte Mann schrie sich drei Tage die Kehle heiser, bis die Nachbarn ihn hörten und befreien konnten.
Am selben Tag wurde die Tochter des alten Mannes an einer roten Ampel von zwei Gangstern aus ihrem Auto gezerrt, als sie von Kapstadt nach Stellenbosch unterwegs war. Sie hatte Glück - sie kam davon, ohne vergewaltigt oder ermordet zu werden. Ihr Mann, der gerade auf dem Golfplatz weilte, leider nicht. Im Kampf um seine Brieftasche versetzte ihm ein Angreifer einen tiefen Stich mit einem abgebrochenen Flaschenhals, und das Opfer verblutete bei Loch 13.
Gangster oder netter Typ? Auf jeden Fall sehr fotogen...
Ein Schauermärchen? In Kapstadt hört man viele solcher Geschichten, und manchmal sind sie sogar wahr. Einige meiner Bekannten sind Opfer von Diebstahl und Raub geworden, mir selber wurde einmal das Auto unter der Nase weg gestohlen (woran ich allerdings ein bisschen selber schuld war). Andere Kapstädter leben seit Jahren unbehelligt, und auch wir fühlen uns derzeit keinesfalls gefährdet: In unserem Häuschen, keine 100 Meter vom nächsten illegalen township entfernt, gibt es keine Alarmanlage, keinen Stacheldraht, und keine Gitter vor den Fenstern – eigentlich unerhört in einem Land, in dem Sicherheitstechnik und Security einem Großteil der Bevölkerung Lohn und Arbeit einbringt. Manchmal vergessen wir sogar, nachts die Haustüre zuzumachen – und wachen trotzdem am nächsten Morgen lachend und unversehrt auf. Wie kann man so unbesorgt sein, wo das Unglück doch angeblich schon drohend an der nächsten Ecke lauert?
Statistiken und Wahrscheinlichkeiten helfen nicht weiter, das Rätsel unserer Unbeschwertheit zu lösen. Vielmehr muss wohl eine allgemeine Unfähigkeit des Menschen zu Grunde liegen, Gefahrenpotentiale richtig einzuschätzen – bzw. der Glaube, angemessene Risiken bewusst in Kauf nehmen zu können. Lustigerweise erklärt dieser hobbypsychologische Ansatz sowohl unsere Verdrängungstaktik, als auch die Paranoia, die in Kapstadt allgegenwärtig zu sein scheint.
Hier sollte man aufpassen:
Die staatlichen Sozialbauten werden oft von Gangs beherrscht.
Als Beispiel: Selbst wenn hinlänglich bekannt ist, dass eine Haiattacke weniger wahrscheinlich ist, als an einem defekten Toaster zu sterben, provoziert ein in der False Bay gefressener Tourist ganze Seiten von alarmistischen facebook und twitter Inhalten – und verdirbt so manchem den Badespaß. Selbst wenn täglich tausende von Anhaltern mitgenommen werden, ohne dass etwas passiert, weiß ganz Kapstadt, wenn wieder einmal jemand dumm genug war, das Schicksal herauszufordern, und sieht sich in den gebetsmühlenartig wiederholten Warnungen vor Trampern bestätigt (wobei die Frage unbeantwortet bleibt, wie die ganzen Maids, Gärtner und Kindermädchen eigentlich zu ihren Arbeitgebern kommen sollen, wenn nicht per Anhalter – der öffentliche Nahverkehr jedenfalls kann das nicht leisten). Die Angst wächst mit jeder Schlagzeile, das Ausschmücken der schrecklichen Realitäten wird zum Selbstläufer, und die weiße Community sieht sich in ihren Warnungen vor dem oft beschworenen blutigen Untergang des Landes bestätigt. Andererseits würde niemand auf sein Auto verzichten wollen – dabei fordern Verkehrsunfälle in Südafrika viel mehr Todesopfer als Gewalt und Kriminalität.
Freuen sich, wenn man sie ein Stueck im Auto mitnimmt:
Xhosa Frauen arbeiten in der Stadt und wohnen weit draussen in den townships.
Die südafrikanische Mentalität ist für das Drama wohl auch besonders zugänglich – die Angst, vom schwarzen Mann ins Meer gedrängt zu werden, auf die sich die Apartheidspropaganda von früher im Wesentlichen stütze, scheint sich auch heute noch in einem Hang zur Übertreibung von Gefahrenpotentialen niederzuschlagen. Als ich unseren südafrikanischen Freunden einen Videoclip zeigte, den ich in unserem Garten gedreht hatte, waren sich alle sofort sicher: Das angriffslustige Reptil darin war eindeutig eine Puffotter, höchst aggressiv, und tödlich giftig. Das Bestimmungsbuch allerdings identifizierte die Schlange als einen völlig harmlosen Eggeater, eine ungiftige Natter, die sich durch Drohgebärden und Aufspreizen des Kiefers nur den Anschein gibt, giftig zu sein. Was die Gefahr, doch mal von einer Puffotter erwischt zu werden, natürlich keinesfalls schmälert.
Auch wenn ich diese Geschichte bezeichnend für die Psychologie weißer Südafrikaner finde, die sich oft und gerne als Opfer der Gefahren in ihrem Lande sehen, soll nicht der Eindruck entstehen, mit ausreichender Naivität käme man schon unbehelligt davon – oder man könne sich durch clevere Besserwisserei der Gefahr entziehen. Südafrika ist ein Land, in dem man gut daran tut, Gefahren ernst zu nehmen und die Risiken abzuschätzen – um sich dann zu entscheiden, wie und wo man sich sicher fühlt, und welcher Herausforderung man sich gewachsen fühlt. Gute Informationen zu bekommen ist essentiell, dabei aber leider nicht immer einfach - die meisten Reiseführer gehen nicht über recht allgemeine Ratschläge hinaus, und viele selbst ernannte Kapstadtkenner berufen sich nur aufs Hörensagen. Wenn es um die 'dos and dont's' geht, werden die Sachverhalte oft düsterer dargestellt, als sie wirklich sind.
Diese Jungs sind nicht nur cool, sondern auch sehr freundlich.
Vor dem Fotografieren aber immer schoen fragen...
Doch Sicherheit ist ein Gefühl, kein Zustand. Man kann deshalb jedem Touristen nur empfehlen, einen eigenen Weg zu finden, sich in dem aufregenden Spannungsfeld der südafrikanischen Gesellschaft zu bewegen. Die Anstrengung, die dies Anfangs vielleicht kostet, wird sich in Momenten echten Glücks und Unbeschwertheit auszahlen. Der aufgeschlossen Reisende wird mit Menschen aller Hautfarben lachen, weinen, und feiern können. Wer sich aber Angst einjagen lässt, wird die schönsten Momente und Geschichten, die Südafrika zu bieten hat, leider verpassen.
Hat nicht nur Suessigkeiten im Gepaeck, sondern auch die ein oder andere bittere Geschichte:
Eisverkaufer in Big Bay.

4.2.10
Surfing Kommetjie: Kraft durch Enthaltsamkeit oder Die Welle des Tages
Die Zeit nach Neujahr gehört bekanntlich guten Vorsätzen, auch wenn man sie surfend in Südafrika verbringt. Kurz nach Sylvester sagte meine Freundin: „Laß' uns doch heilfasten. Nach dem ganzen Weihnachtsfressen – es wird uns gut tun.“ Ich liebe meine Freundin sehr. Und sie hat diese bestimmte Art, mir Ideen so in den Kopf zu setzen, dass ich schwören könnte, sie entsprängen meinem eigenen kranken Hirn.
Anderer Tag, anderer Spot, anderer Surfer. Aber so hat es sich in etwa angefuehlt.
Wir heilfasteten also. Eine Woche lang. Morgens gab es Tee, mittags eine Tasse heißen Wassers, in der eine Stange Lauch weichgekocht worden war, und abends ein Glas Saft. Dreimal in der Woche nahmen wir ein Abführmittel zu uns, um unsere Därme völlig zu erleichtern. Es war hart, doch der Kick, der dann einsetzen sollte, schien es wert. Am vierten Tag, so waren wir uns sicher, wären wir dann in der Lage, auch wieder surfen zu gehen.
Statt dessen gingen wir durch die Hölle. Bereits am ersten Abend knurrte mein Magen wie ein zum Sprung ansetzender Leopard, der mir später in der Nacht mit zornig schnappenden Kiefern wütend in den Bauch biß. Am zweiten Abend waren wir so schwach, dass an zusätzlichen Energieverlust etwa in Form von Geschlechtsverkehr nicht mehr zu denken war. Vom Surfen ganz zu schweigen. Am dritten Tag starrten wir wie durch Watte auf das Meer, das wie zum Hohn die schönsten Wellenkämme an den Strand warf, und konnten uns kaum auf den Beinen halten. Doch wir waren geduldig und wartete auf den vierten Tag, ab dem laut der Heilfastentheorie alles anders sein sollte.
Der vierte Tag kam und ging. Der Hunger blieb. Die Schwäche ebenso. Die Watte wurde dichter.
Am fünften Tag war der Swell in Kommetjie groß. Sehr viel weiter draußen als sonst hingen die wenigen Surfer im Line-Up. Wenn einer von ihnen eine Welle anpaddelte, hielten die Leute am Strand den Atem an. Wir starrten mit unseren hungrigen Augen auf das Spektakel und irgendwann hatte ich genug gesehen.
Ich ging zu unserem Käfer, und fing an, mein Brett vom Dachträger zu lösen.
„Was ist denn jetzt los?“, wollte meine Freundin wissen. „Spinnst Du?“
Ich zerrte an der Surfsocke, die mein Brett nicht frei geben wollte. Die Anstrengung ließ mich Sternchen vor Augen sehen.
„Ich muss da raus,“ erwiderte ich. „Wenn schon sterben, dann lieber in der Welle als vor Hunger.“
Meine Freundinn schwieg.
„Dann schau ich halt zu,“ sagte sie nur kopfschüttelnd , als ich mich in den Neoprenanzug wurstelte.
Das Wasser war kalt, viel kälter als die in Kommetjie sonst üblichen 13 Grad. Die erste Weißwasserwalze, die über mich hinweg ging, nahm mir fast den Atem, und fast sofort entwickelte ich die Art Kopfschmerzen, wie man sie von zu gierigem Konsum zu kalter Eiskrem kennt. Meine Schultern wurden taub, ich pflügte ungelenk durch die Brandung wie ein ölverschmierter Pinguin. Irgendwann zwang mir das Meer einen gehörigen Schluck Salzbrühe die Gurgel hinunter, und wie als Antwort kotzte ich fast sofort eine kleine Lache Lauchwasser neben mein Brett. Nachdem ich in derart lebhafte Kommunikation mit dem Ozean getreten war, ging es mir etwas besser.
Irgendwann hatte ich es geschafft, hinter die Brandungszone zu kommen, und die herein rollenden Wogen hoben und senkten sich unter mir. Manchmal war ich so tief im Wellental, dass der Strand komplett aus dem Gesichtsfeld verschwunden war, im nächsten Moment befand ich mich hoch oben auf dem Rücken eines Wasserberges mit Panoramablick.
Doch es war aussichtslos. Ein ums andere Mal, wenn ich eine Welle auserkoren hatte, und mich zum Anpaddeln umdrehte, versagten mir nach drei, vier Zügen die Arme. Nach Atem ringend, beschloss ich, die Welle etwas später, etwa steiler zu nehmen. Der nächste Brecher war ein gewaltiger close-out, bei der die Welle auf ganzer Länge gleichzeitig donnernd brach. Ohne dass ich es gewollt hätte, nahm mich die Woge mit und schleuderte mich mit einer Wucht vom Brett, dass ich fürchtete, meine Glieder würden aus ihrer Verankerung gerissen. Dann kam der hold-down - als läge mir ein Eisenbahnwaggon auf der Brust, kämpfte ich gegen einen Berg aus Wasser, der mir dunkel den Atem nahm und mich auf den Sand presste. Meine Arme streiften Tang und andere glitschige Objekte des Meeresbodens. Nach einer Ewigkeit kam ich wieder hoch, japste nach Atem und versuchte auf mein Brett zu krabbeln, bevor der nächste Brecher heran rollte. Zu spät. Ein ums andere Mal wurde ich gewaschen wie schmutzige Unterwäsche im Schleuderprogramm.
Als ich das nächste Mal an die Oberfläche kam, war ich bereits fast am Strand. Mit letzter Kraft zog ich mein Brett zu mir und wusste, dass ich für heute besiegt war. Mühsam paddelte ich die wenigen Meter bis ans Ufer. Ich fiel in den Sand. Spuckte, keuchte, hustete, und versuchte, das Salzwasser aus meinen Nebenhöhlen zu schütteln. Meine besorgte Freundin kam herbei geeilt.
„Alles in Ordnung?“
Ich nickte. Und fühlte mich auf einmal großartig. Ja, ich hatte gekämpft und trotzdem keine Welle bekommen, normalerweise Grund zur Enttäuschung und Frustration. Doch war ich draußen gewesen, an diesem Tag der großen Wellen.
„Alles in Ordnung,“ krächzte ich. „Das war der Surf meines Lebens.“
Ich blickte nach draußen, auf das wogende Meer. Der Hunger war fort. Und mein Kopf war so klar wie der wolkenlose Himmel Kapstadts, der sich über uns spannte.