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2.10.10

B21 - Keine neuen Backshops bevor die alten nicht verbraucht sind!

Die Veränderung ist schleichend. Während das kritisch-wachsame Auge der Öffentlichkeit zur Zeit im Stuttgarter Schloßpark wasserwerfergeblendet den Kommunikationsgau um S21 zu durchblicken trachtet, verabschiedet sich anderswo in Spätzletown die Lebensqualität auf Raten. News from Nowhere aber ist wachsam - und wundert sich.

Wo sind die Demostrationen gegen das Aussterben der freien Parkplätze? Wann kettet sich endlich der Erste an die immer rarer werdenden öffentlichen Mülleimer? Wo wird die Mahnwache vor der Postfiliale abgehalten? Und wer - Wer? - gebietet eigentlich der Backshopmafia mit ihrerm leuchtfassaden-verschandelndem Raumhunger endlich und ein für allemal Einhalt?

Meine neue Heimat Heslach ist ein ruhiger Fleck gar nicht weit weg vom pulsierenden Herzen der schwäbischen Revolutionsmetropole. Selten riecht man hier Tränengas, trotzdem hat es so viel Berliner Flair, wie man es in Benztown nur bekommen kann. Ein fast bunter Mix aus Jungantifaschisten, Ex-Jugslawen und Schwaben hat es sich zwischen dämmungsbedürftigen Altbauten und Stäffeleanwesen gemütlich gemacht. Man kennt sich, trifft sich beim Metzger um die Ecke, der für seine Maultaschen den Friedensnobelpreis vedient hätte, und schlotzt zwischen zwei Demos gemütlich ein Viertele auf dem Bihlplatz. Doch selbst hier im romantischen Süden greift eine unheilvolle Verschwörung raffgieriger Nahrungsmittelindustrieller und Kettenhändler unbarmherzig nach der Seele eben jener Gemütlichkeit: Heslach verfällt dem Back-Wahn.

Auf meinem morgendlichen Weg zur U-Bahn komme ich an den Auswüchse dieser völlig unterschätzten Gefahr vorbei - auf dreihundert Wegmetern finden sich drei Kettenbäckereien, und direkt an der Haltesstelle verkünden baustaubgraue Reklamen die Freude auf ein viertes Etablissement dieser Art. War ich zunächst noch voll blinder Begeisterung ob der Möglichkeiten (oh, die Qual der Qahl zwischen Bio-Vollkorn-Schokocroisssant, käseverklebter halbwarmer Pizzazunge, oder Quarkkräuter-putenbrustdreiecksbrötchen...) so dämmert dem in unzählig belauschten U-Bahngesprächen sozialpolitisch geschärftem Verständnis doch nun, dass hier eine besorgniserregnde Entwicklung im Gang ist.

Wo einstmals Platz für Cafés und Weinstuben war, wo Kleinläden und Kneipen zum Stöbern und Verweilen einluden, man sich auf lauschigen Hinterhöfen traf und Bänkelsitzend den Enkeln beim Spielen mit Kreisel und Holzauto zuschauen konnte, benebeln nun die in rasenden Kopfschmerz resultierenden Backstubengebläsegerüche die Sinne, taumelt man wirr von einem Schnäppchenbrot zum nächsten Supersonderangebot, entscheidet sich für das falsche Pappwasserbrötchen, verkauft sich bei den zuckergussklebrigen Rosinenschnecken, und stolpert schließlich konsumorientierungsgestraft doch wieder mit einer Tüte voll bindungsmittelgestrecktem Gluten nach draussen, von deren Inhalt man jetzt schon weiß, dass er morgen nach nichts mehr schmeckt. Doch der Erfolg gibt dem Geschäftsmodell offenbar Recht: der Laie staunt, und man selber wundert sich, dass der Schwabe sich so viele Laugenstangen, Hefezöpfe und Butterbrezel in den Schlund stopfen kann, ohne an den brav gesparten Cent zu ersticken. Denn es muss sich ja schon ordentlich für die Discountbäcker lohnen, wenn sie alle paar Meter ein neues Backparadies einzuweihen im Stande sind.

Nun aber, in der Bahnhofsdämmerung von Stuttgart scheint die Zeit reif für eine Grasswurzelrevolution an der Backwahnfront. Die politisch inzwischen hoch sensibilisierte Bürgerschaft muss ja nur noch mit den entsprehenden Aktionen auf die Mißstände hingewiesen werden. Wir machen große politische Kehrwoche! Und räumen auf mit dem Lügenpack, dass uns Genuß verspricht und doch nur leere Kalorien liefert! Sitzblockaden vor sich automatisch ad absurdum öffnenden und schließenden Glasschiebtüren könnten ein erster Anfang sein. Dazu noch schnell ein paar markige Sprechchöre, vielleicht 'In der Not - schmeckt die Wurst auch ohne Brot!' oder vielleicht auch 'Wir haben Hunger, und was habt ihr?!'.

Spätestens bei Graffiti à la 'Kauft nicht bei Arschlöchern!' oder 'Spar dein Geld - Backs dir selbst!' wird dann sicherlich auch das politische Feuilleton anbeißen. Und wenn dann das erste unschuldige Schweinsöhrchen geworfen ist, gibt es kein Halten mehr. Schwarzer Block, Antifa, die Junge Linke - ich sehe sie schon durch die Innestädte ziehen, in jeder Hand ein brennende Tüte Aurora Weizenmehl Type 405.

Bis dahin: Küßt die Frischbäcker, wo ihr sie trefft. Man sieht sich bei der Montagsdemo.

1 comment:

Anonymous said...

großartig! \o/ Mühlacker hat zum Glück immernoch einen (eigentlich mehrere) echten [TM] Frischbäcker ;) Aber in Karlsruhe muss man schon ganzschön suchen... Mir fällt in der Innenstadt spontan nur ein klitzekleiner Bäcker bei der Uni ein, sonst nur Discountbäcker und Ketten à la Kamps... Schade eigentlich. Außerdem bietet sich als Parole noch das Set "Ich bin am Ort das größte Schwein und kaufe nur Discountbrot ein!" / "Ich nehm als Pfennigfuchser IMMER nur Billigbrötchen in die Finger" (siehe http://goo.gl/Yd41 ...)