21.7.10
Surf now, work later. Ein Interview mit Peter Prochaska (I)

15.7.10
Surfin' RSA: Albtraum Jeffreys Bay
die ja auch irgendwo ihre Sticker loswerden müssen.
Kaum ist die WM verklungen, und die letzten Vuvuzelas werden von den Rängen der nun leer stehenden Stadien gefegt, da findet in Südafrika erneut ein Sportevent von globalem Interesse statt. Ab dem 15. Juli beginnt der 'Billabong Pro' bei Supertubes in J'Bay, eine Station auf dem Zirkus des professionellen Surfens. Auch wenn die Zuschauerzahlen sicher nicht mit denen des Fußballs zu vergleichen sind, hat das weltweit gestiegene Interesse am Wellenreiten in nur zehn Jahre dazu geführt, dass man J'Bay heute nicht wiedererkennt.
Supertubes, das ist für viele Surfer das Mekka ihrer Zunft. Das Bild der perfekt hintereinander brechenden, ewig laufenden barrels mit den surfenden Delphinen darin ist im kollektiven Memplex der Szene fest verankert. Doch wer sich von diesem Anblick abwendet, und auf das Städtchen dahinter schaut, prallt zurück - Jeffreys Bay ist die am schnellsten wachsende Kommune Südafrikas, und wo vor gar nicht langer Zeit lediglich Aloen aus den Dünen wuchsen, wo es zwei Backpackers und einen kleinen Supermarkt gab, steht jetzt ein ausnehmend häßlicher, schmalfenstriger Ziegelsteinbau neben dem anderen. Ferienwohnungen, Surflodges, Outlets drängen sich entlang der Straße. Und leider ist bei all dem vom 'Surf-Spirit' wenig zu spüren. Es geht um die Kohle, um den Profit, um den Hype der Superstars.
Sicherlich ist es höchst interessant, den 'Billabong Pro' vor Ort zu verfolgen. Und natürlich lockt die perfekte Welle, auch wenn es inzwischen schier unmöglich ist, zwischen den vielen Mitstreitern eine davon zu erwischen. Doch ansonsten kann man inzwischen um J'Bay getrost einen Bogen machen. Nur wenige Kilometer die Küste entlang findet man es dann wieder, das Südafrika, wo man die Weite spürt, die Schönheit, die Wildheit des Kontinents. Und wo Aloen in den Dünen stehen und die Welle fast perfekt bricht.
Und hier gibt es noch ein Schmankerl:
Jordy Smith wins Billabong Pro 2010

4.2.10
Surfing Kommetjie: Kraft durch Enthaltsamkeit oder Die Welle des Tages
Die Zeit nach Neujahr gehört bekanntlich guten Vorsätzen, auch wenn man sie surfend in Südafrika verbringt. Kurz nach Sylvester sagte meine Freundin: „Laß' uns doch heilfasten. Nach dem ganzen Weihnachtsfressen – es wird uns gut tun.“ Ich liebe meine Freundin sehr. Und sie hat diese bestimmte Art, mir Ideen so in den Kopf zu setzen, dass ich schwören könnte, sie entsprängen meinem eigenen kranken Hirn.
Anderer Tag, anderer Spot, anderer Surfer. Aber so hat es sich in etwa angefuehlt.
Wir heilfasteten also. Eine Woche lang. Morgens gab es Tee, mittags eine Tasse heißen Wassers, in der eine Stange Lauch weichgekocht worden war, und abends ein Glas Saft. Dreimal in der Woche nahmen wir ein Abführmittel zu uns, um unsere Därme völlig zu erleichtern. Es war hart, doch der Kick, der dann einsetzen sollte, schien es wert. Am vierten Tag, so waren wir uns sicher, wären wir dann in der Lage, auch wieder surfen zu gehen.
Statt dessen gingen wir durch die Hölle. Bereits am ersten Abend knurrte mein Magen wie ein zum Sprung ansetzender Leopard, der mir später in der Nacht mit zornig schnappenden Kiefern wütend in den Bauch biß. Am zweiten Abend waren wir so schwach, dass an zusätzlichen Energieverlust etwa in Form von Geschlechtsverkehr nicht mehr zu denken war. Vom Surfen ganz zu schweigen. Am dritten Tag starrten wir wie durch Watte auf das Meer, das wie zum Hohn die schönsten Wellenkämme an den Strand warf, und konnten uns kaum auf den Beinen halten. Doch wir waren geduldig und wartete auf den vierten Tag, ab dem laut der Heilfastentheorie alles anders sein sollte.
Der vierte Tag kam und ging. Der Hunger blieb. Die Schwäche ebenso. Die Watte wurde dichter.
Am fünften Tag war der Swell in Kommetjie groß. Sehr viel weiter draußen als sonst hingen die wenigen Surfer im Line-Up. Wenn einer von ihnen eine Welle anpaddelte, hielten die Leute am Strand den Atem an. Wir starrten mit unseren hungrigen Augen auf das Spektakel und irgendwann hatte ich genug gesehen.
Ich ging zu unserem Käfer, und fing an, mein Brett vom Dachträger zu lösen.
„Was ist denn jetzt los?“, wollte meine Freundin wissen. „Spinnst Du?“
Ich zerrte an der Surfsocke, die mein Brett nicht frei geben wollte. Die Anstrengung ließ mich Sternchen vor Augen sehen.
„Ich muss da raus,“ erwiderte ich. „Wenn schon sterben, dann lieber in der Welle als vor Hunger.“
Meine Freundinn schwieg.
„Dann schau ich halt zu,“ sagte sie nur kopfschüttelnd , als ich mich in den Neoprenanzug wurstelte.
Das Wasser war kalt, viel kälter als die in Kommetjie sonst üblichen 13 Grad. Die erste Weißwasserwalze, die über mich hinweg ging, nahm mir fast den Atem, und fast sofort entwickelte ich die Art Kopfschmerzen, wie man sie von zu gierigem Konsum zu kalter Eiskrem kennt. Meine Schultern wurden taub, ich pflügte ungelenk durch die Brandung wie ein ölverschmierter Pinguin. Irgendwann zwang mir das Meer einen gehörigen Schluck Salzbrühe die Gurgel hinunter, und wie als Antwort kotzte ich fast sofort eine kleine Lache Lauchwasser neben mein Brett. Nachdem ich in derart lebhafte Kommunikation mit dem Ozean getreten war, ging es mir etwas besser.
Irgendwann hatte ich es geschafft, hinter die Brandungszone zu kommen, und die herein rollenden Wogen hoben und senkten sich unter mir. Manchmal war ich so tief im Wellental, dass der Strand komplett aus dem Gesichtsfeld verschwunden war, im nächsten Moment befand ich mich hoch oben auf dem Rücken eines Wasserberges mit Panoramablick.
Doch es war aussichtslos. Ein ums andere Mal, wenn ich eine Welle auserkoren hatte, und mich zum Anpaddeln umdrehte, versagten mir nach drei, vier Zügen die Arme. Nach Atem ringend, beschloss ich, die Welle etwas später, etwa steiler zu nehmen. Der nächste Brecher war ein gewaltiger close-out, bei der die Welle auf ganzer Länge gleichzeitig donnernd brach. Ohne dass ich es gewollt hätte, nahm mich die Woge mit und schleuderte mich mit einer Wucht vom Brett, dass ich fürchtete, meine Glieder würden aus ihrer Verankerung gerissen. Dann kam der hold-down - als läge mir ein Eisenbahnwaggon auf der Brust, kämpfte ich gegen einen Berg aus Wasser, der mir dunkel den Atem nahm und mich auf den Sand presste. Meine Arme streiften Tang und andere glitschige Objekte des Meeresbodens. Nach einer Ewigkeit kam ich wieder hoch, japste nach Atem und versuchte auf mein Brett zu krabbeln, bevor der nächste Brecher heran rollte. Zu spät. Ein ums andere Mal wurde ich gewaschen wie schmutzige Unterwäsche im Schleuderprogramm.
Als ich das nächste Mal an die Oberfläche kam, war ich bereits fast am Strand. Mit letzter Kraft zog ich mein Brett zu mir und wusste, dass ich für heute besiegt war. Mühsam paddelte ich die wenigen Meter bis ans Ufer. Ich fiel in den Sand. Spuckte, keuchte, hustete, und versuchte, das Salzwasser aus meinen Nebenhöhlen zu schütteln. Meine besorgte Freundin kam herbei geeilt.
„Alles in Ordnung?“
Ich nickte. Und fühlte mich auf einmal großartig. Ja, ich hatte gekämpft und trotzdem keine Welle bekommen, normalerweise Grund zur Enttäuschung und Frustration. Doch war ich draußen gewesen, an diesem Tag der großen Wellen.
„Alles in Ordnung,“ krächzte ich. „Das war der Surf meines Lebens.“
Ich blickte nach draußen, auf das wogende Meer. Der Hunger war fort. Und mein Kopf war so klar wie der wolkenlose Himmel Kapstadts, der sich über uns spannte.