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1.7.10

Go against the flow: Der Eisbach ruft

Spätestens seit dem unerwarteten Erfolg der Dokumentation 'Keep Surfing' ist der Eisbach mitten in der Münchner Innenstadt für landbrüchige Wellenreiter mit Entzugserscheinungen in den Brennpunkt des Interesses gerückt. Auch der Autor dieser Zeilen nutzte einen Lesestopp in der bayrischen Landeshauptstadt, um den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Das Resultat nach drei Tagen Selbstversuch: mehrere ansehliche blaue Flecken, ein geprelltes Steißbein - und ein sehr breites Grinsen.

Schönes Ding. So kann es aussehen, der Flow auf dem Eisbach.
(Photo: Moritz Wollenberg)

Für was so eine Lesetour durch Deutschland alles gut sein kann: Diesen Juni konnte ich lange vermißte Freunde in Hamburg, Münster, und Göttingen besuchen, mit Kommilitonen aus dem Grundstudium über den Geschlechtswechsel der Miesmuschel rätseln, oder Ex-Schüler in ihrem Kampf gegen eine Klage wegen Verstoßes gegen das Landesemisionsschutzgesetzes unterstützen. Krönender Abschluß war aber der Versuch, es jenen tollkühnen BezwingerInnen der inzwischen legendären Eisbachwelle gleichzutun. Surf's up in Munich!

Ich treffe den enDo Teamer und Eisbach Local Moritz Wollenberg alias Mundaka Mo unten an der Welle. Das letzte Mal haben wir uns vor fast neun Monaten im Surfcamp in Tamraght, Marokko gesehen, doch schnell stelle ich fest, dass Mo auch hier nur für eines brennt: Surfen! Von nahem betrachtet ist der Eisbach ein reißender kleiner Fluß, und etwas verunsichert bestaune ich Mo und die anderen Cracks, die mit Anlauf vom Ufer abspringen und scheinbar mühelos ihre Drehungen und Sprünge auf die stehenden Welle zaubern. Dann soll ich es schließlich selber wagen: Mit vor Aufregung zitternden Knien steige ich in meine Boardshorts, schnappe mir Mos Brett und reihe mich in die Schlange der Wartenden ein. Kaum kann ich mich auf die letzten Ratschläge konzentrieren - je näher mein Einsatz rückt, umso unwahrscheinlicher kommt mir vor, auf diesem brodelnden Chaos aus Wasserschaum auf einem Brett balancieren, geschweige denn selbiges noch kontrollieren zu könnnen. Immer abwechselnd von jeder Uferseite steigt man ein, manche Surfer halten sich ein paar Sekunden, andere scheinen ewig ihre Turns zu fahren. Doch schnell wird die Schlange immer kürzer, noch drei , zwei, eins Surfer sind vor mir dran. Auch mein Vorgänger verliert irgendwann das Gleichgewicht, sein Board knallt mit dem häßlichen Geräusch brechenden Epoxyharzes zwanzig Zentimeter neben meinen Füßen gegen die steinerne Einfassung, sein Körper schlägt lang ins Wasser.

Mission erfolgreich. Der Körper geschunden, doch die Seele fliegt.

"Wenn Du fällst, oben bleiben, egal wie," sagt mir Mo noch, und dann hält er mir das Brett, ich sitze auf der Ufereinfassung, stelle meine Füße darauf, tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf, die Angst vor den Steinen, die Furcht zu versagen, mich zum Gespött zu machen vor den Surfern und anderen Zuschauern, es ist ein einziger neuronaler Sturm der emotionalen und physischen Anspannung, ich kann den Blick auf das unglaublich schnell strömende, brausende Wasser kaum ertragen, schwindelig wird mir, doch den Blick zu lösen gelingt mir auch nicht, ich spüre, wie das Wasser kalt um die Knöchel gurgelt, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ich muss nach vorne belasten, um nicht mitgerissen zu werden - warte nicht zu lange, sonst traust du dich nicht mehr, schalte die Gedanken ab, jetzt musst du loslassen! Ich hole tief Luft, stelle mich auf das Brett, und stoße mich mit beiden Händen von der Einfassung. Und dann... ist alles Stille.

Natürlich ist das Eisbach-Surfen mit dem auf Meereswellen nicht zu vergleichen. Es kommt nicht zu der unglaublichen Beschleunigung im Moment des Take-Off, wenn die Welle gnädig genug ist, einen mitzureißen. Doch der Stoke, der aus dem Erleben des Jetzt resultiert, der Flow, wie ihn vielleicht noch Free Climber oder Apnoe-Taucher kennen und suchen, ist hier absolut vorhanden. Kaum bin ich auf dem Wasser, verliert alles andere an Bedeutung. Es geht nur um den Moment, um das Jetzt, das Hier, das Brett, das Wasser, die Bewegung. Vergessen sind glotzende Touristen und hämische Profis, Angst und Peinlichkeit. Das Universum öffnet sich - und hört im selben Moment auf, zu existieren. Der Kopf ist frei. Der Moment unendlich.


Ein besonderes Schmankerl. Mundaka Mo, a.k.a. Moritz Wollenberg stellt
News from Nowhere dieses Eisbach-Video zur Verfügung.
Maximum Respect, brother!


Es dauert in Echtzeit natürlich keine drei Sekunden, bis ich das Gleichgewicht verliere und ins Wasser klatsche. Eisbach - das muss man wörtlich nehmen, und auch den Rat, möglichst viel Wasser zwischen sich und das Flußbett zu bringen. Ich schramme mit dem Gesäß an einem der vielbesungenen Steine vorbei, strample, tauche endlich auf, und bin doch sehr lange damit beschäftigt, mich aus dem strömenden Fluß zu kämpfen. Meine Schulter habe ich mir bei dem Sturz auch verzogen, die Unterarme sind vom Festhalten an den scharfkantigen Ufersteine rot geschwollen. Doch innerlich jubeliert es in mir, meine Synapsen werden mit Endorphinen schier überschwemmt. Breit grinsend trabe ich zurück zur Einstiegsstelle - und will dasselbe, bitte, nochmal, nochmal. Mo grinst zurück. Er weiß, was gerade bei mir im Kopf abgeht.

Man mag über die Verrückten den Kopf schütteln, die in Neo und mit dem Board unter dem Arm durch München radeln. Aber wer es mal selbst probiert hat, muss zugestehen: der Stoke ist da... und meine nächste Tour führt auf jeden Fall wieder hier vorbei. Dann aber mit eigenem Brett. Das wartet bereits in einem Münchner Keller auf den nächsten Einsatz.

1 comment:

Tobias said...

Nice :)

Kannst du mir noch mal die Rahmendaten wg. Treffen im August mitteilen?